Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Im Antlitz des Herrn

Im Antlitz des Herrn

Titel: Im Antlitz des Herrn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Béla Bolten
Vom Netzwerk:
Kongressen. Vor zwei Jahren überredeten mich meine Frau und meine Tochter zu einer Kurzreise in der Weihnachtszeit. Keine gute Idee, kann ich Ihnen sagen. Es war bitterkalt, und die beiden Damen interessierten sich nur für ihre Einkäufe. Wie fast alle Touristen blieben wir meistens in Manhattan. Von Brooklyn kenne ich nur die wunderschöne Promenade mit dem großartigen Blick auf die Skyline.»
    «Schade, Sie haben was verpasst. Vor allem Goldbergs Delikatessen. Gegründet 1890, und noch heute bekommen Sie dort die besten Pastramisandwiches der ganzen Ostküste.»
    «Ich werde es mir merken.»
    Die heitere Unterhaltung tat Engel gut, er merkte, wie er sich zunehmend entspannte.
    «Und wie kommt eine junge Frau aus Goldbergs Delikatessen in Brooklyn zur Henderson Archeological Foundation?»
    «Der Weg ist kürzer, als Sie denken. Ich habe in New York Publizistik und Archäologie studiert. Als ich mein Master-Examen in der Tasche hatte, fand ich es an der Zeit, endlich aus der Stadt zu verschwinden. New York mag ja die Hauptstadt der Welt sein, ich wollte aber auch ein bisschen Provinz kennenlernen. Also bewarb ich mich um ein Praktikum bei einer Ausgrabung in Tunesien. Sie wurde von der HAF finanziert, und ich traf Mr. Henderson. Anscheinend gefiel ihm, wie ich arbeitete, und er gab mir einen festen Arbeitsvertrag. Das war vor sechs Jahren, und seitdem bin ich für ihn tätig.»
    Engel hatte sich auf seinem Sitz gedreht und schaute die junge Frau auf dem Fahrersitz erstaunt an.
    «Publizistik und Archäologie, was für eine seltsame Kombination.»
    «Finden Sie? Mich haben alte Geschichte und vor allem Archäologie schon als Jugendliche interessiert. Ich verschlang alle Bücher, die ich kriegen konnte. Meistens waren es langweilige Wälzer, in einem derartigen Fachchinesisch geschrieben, dass es niemanden wundern musste, wenn sie nur Miniauflagen erreichten. Und dabei ist Archäologie und was sie zutage fördert, so spannend. Ausgrabungen machen vergangene Epochen sichtbar und erlebbar. Natürlich erschließen sich nicht alle Funde so leicht wie die Villen in Pompeji, die Bibliothek von Ephesus oder Akrotiri auf Kreta. Deshalb braucht es einen guten Schreiber, der Geschichte vor den Augen des Lesers auferstehen lässt.»
    Engel schlug sich mit der Hand vor die Stirn.
    «Sie haben ‹Es führt kein Weg zurück› geschrieben, oder?»
    «Möchten Sie ein Exemplar mit Widmung?», fragte Sarah neckisch.
    Ohne auf die Frage einzugehen, fuhr Engel fort:
    «Ich habe es verschlungen, und meine Frau, die sich sonst wenig für archäologische Fachliteratur interessiert, war total begeistert. Endlich könne sie sich wirklich vorstellen, wie die Pharaonen gelebt hätten und vor allem, was sie antrieb, so gigantische Grabstätten zu bauen.»
    Sarah schien sich über das Kompliment aufrichtig zu freuen.
    «Ein zufriedener Leser ist genug Lohn für den Schreiberling.»
    «Na, na, es waren wohl ein paar zufriedene Leser mehr. Ich erinnere mich an hymnenhafte Kritiken, und stand Ihr Buch nicht monatelang auf Platz eins der Bestsellerliste? In dem Zusammenhang würde mich interessieren, was Ihre Aufgabe bei unserem aktuellen Projekt ist. Für einen Job als Fahrer sind Sie ja deutlich überqualifiziert.»
    «Da die meisten Taxifahrer in London einen Doktortitel haben, kann man da geteilter Ansicht sein.»
    Engel lachte auf.
    «In Hamburg geht das Gerücht um, die Chauffeure würden bald eine eigene Universität gründen.»
    «Spaß beiseite», fuhr Sarah immer noch lachend fort, «der Jerusalemer Grabungsfund wird für ziemlichen Wirbel sorgen. Ich soll aufpassen, dass uns die Sache nicht entgleitet oder aus dem Ruder läuft. Mein genauer Titel steht auf der Visitenkarte.»
    Sarah deutete auf eine kleine Plastikbox in der Ablage zwischen den Sitzen. Engel fischte eine Karte heraus. Unter dem Logo der Henderson Archeological Foundation stand in klaren, einfachen Lettern: Sarah Goldberg – Director of public relations.
    «Da vorne auf dem Armaturenbrett finden Sie übrigens Ihre Karten.»
    Engel nahm ein in braunes Packpapier geschnürtes Päckchen in die Hand. Darin befanden sich einige Hundert Visitenkarten gleicher Aufmachung. Der Text lautete: Professor Dr. Wolfram Engel. Director.
    «Da stellt sich jetzt die Frage», sagte Engel, «was mehr wert ist ‒ ein Direktor mit Zusatz oder einer ohne.»
    «Na, das ist doch wohl klar», antwortete Sarah mit einem bezaubernden Lächeln.
    Engel war sich nicht sicher, wie er diese Antwort

Weitere Kostenlose Bücher