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Im Antlitz des Herrn

Im Antlitz des Herrn

Titel: Im Antlitz des Herrn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Béla Bolten
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Medien ausführlich und meistens unter der Überschrift ‹Sarg von Jesus Bruder entdeckt›. Die Aufregung steigerte sich noch, als die erste Expertise die Inschrift für echt erklärte. Ein paar Monate später wurde ein zweites Gutachten veröffentlich. Es kam zu dem Schluss, dass sich die letzten Buchstaben – Bruder des Jesus – von den vorherigen unterscheiden und die Inschrift eine Fälschung sei. Danach hat mich die Angelegenheit ehrlich gesagt nicht mehr interessiert.»
    «Absolut verständlich», antwortete Latour. «Wissen Sie, wo sich das Ossuarium jetzt befindet?»
    Engel schüttelte mit dem Kopf.
    «Es wurde von der israelischen Antikenbehörde konfisziert. Man setzte eine fünfzehnköpfige Expertenkommission ein, um die Inschrift zu begutachten. Ich und auch Dominic», Latour drehte den Kopf nach hinten, «gehörten zu dieser Gruppe.»
    «Aber das Ergebnis dieser Expertise war doch eindeutig negativ.»
    «Das Ergebnis war es nicht, nur die Presseerklärung der Antikenbehörde. Von den fünfzehn Mitgliedern der Kommission kamen acht zu dem Schluss, die Inschrift sei falsch, sieben hielten sie für echt.»
    Engel war verwirrt.
    «Es widerspricht allen wissenschaftlichen Standards, in so einem Fall von einem eindeutigen Ergebnis zu sprechen.»
    «Sie sagen es! Es kommt sogar noch schlimmer. Im veröffentlichten Ergebnis wird behauptet, die letzten in den Stein geritzten Buchstaben enthielten keine alte Patina. Fragen Sie Dominic.»
    Engel drehte sich zu dem einen Meter hinter ihnen stehenden Matin um.
    «Die Patina in den letzten Buchstaben war absolut identisch mit der in den ersten. Sie war eindeutig alt. Vorne wie hinten.»
    «Sicher?»
    «Hundertprozentig! Sämtliche Analysen kamen zum gleichen Ergebnis.»
    Latour zog Matin am Arm zu sich heran.
    «Es gibt keinen besseren Experten für die chemische und mineralogische Altersbestimmung von Inschriften als meinen Freund Dominic. Im Übrigen hätte es seiner Bestätigung gar nicht bedurft. Ich habe selten so einen klaren Fall einer authentischen Inschrift an einem Ossuarium gesehen wie an diesem. Nebenbei bemerkt ist die Truhe seit Veröffentlichung der Expertise verschwunden.»
    «Wer hat ein Interesse daran, ein echtes Ossuarium als Fälschung zu deklarieren? Zumal dieses eine wichtige Reliquie gewesen wäre, hat es doch die Gebeine eines der engsten vertrauten Jesus enthalten.»
    Engel hatte die Frage kaum ausgesprochen, da wusste er die Antwort. Der Vatikan hatte Jakobus konsequent aus dem kollektiven Gedächtnis der Kirche verbannt. Er konnte kein Interesse an einer großen Medienkampagne haben, durch die der vergessene Bruder Jesu in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit gerückt wurde.
    «Aber warum spielen die Israelis da mit?»
    Latour hob die rechte Augenbraue.
    «Der Arm des Vatikan reicht weit. Ich fürchte, dass wir das noch zu spüren bekommen.»
     
    ***
     
    Die Bar Antiqua in der Via del Moro in Trastevere war gut gefüllt. Di Lucca hatte einen freien Tisch im hinteren Teil des Gastraums gefunden. Die meisten Gäste waren Mitarbeiter der kleinen Handwerks- und Dienstleistungsbetriebe, die sich in den vergangenen Jahren mehr und mehr hier angesiedelt hatten. Die Bar bot eine ansprechende Auswahl an Snacks, manche tranken hier auch nur einen Aperitif, um dann in eine der umliegenden Trattorien zu wechseln. Di Lucca hatte gerade seinen Bitter bestellt, als Legado die Bar betrat. An einigen Tischen verstummte die Unterhaltung, und die Menschen drehten sich um. Ein Kleriker tauchte hier selten auf, und der Bischof war zudem eine stattliche Erscheinung. Di Lucca winkte ihm zu, als er sich suchend im Raum umsah.
    «Hallo John. Warum dieser ungewöhnliche Ort?»
    Di Lucca schob dem Bischof den Stuhl zurecht und grinste. «Bestimmte Dinge bespricht man besser nicht innerhalb der vatikanischen Mauern. Betrachten Sie unser Treffen einfach als inoffiziell.»
    Der Bischof winkte den Kellner heran und bestellte einen doppelten Espresso.
    «Sie meinen, damit ich später leugnen kann, vom Inhalt unserer heutigen Besprechung gewusst zu haben?»
    «Sie haben schnell gelernt, wie die Kurie funktioniert, Bischof.»
    Der Kellner stellte die Kaffeetasse und ein Glas Wasser vor Legado und schob den Kassenbon in das dafür vorgesehene Glas.
    Der Bischof nahm die Tasse in die Hand und schielte skeptisch hinein.
    «Nie verstehen werde ich allerdings, warum selbst ein doppelter Espresso gerade mal ein einziger Schluck Kaffee ist.»
    Er führte die Tasse an den Mund

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