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Im Antlitz des Herrn

Im Antlitz des Herrn

Titel: Im Antlitz des Herrn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Béla Bolten
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angesäuert.
    Stone blickte in seine Richtung.
    «Spätestens übermorgen, Peter, können wir mit den ersten Berechnungen für die Gesichtsrekonstruktion beginnen.»
    Hawley erhob sich aus seinem Sessel und zügelte seine laute Stimme kaum:
    «Dann war das heute ein erfolgreicher Tag. Wir sollten ihn in einem der angeblich so geselligen Pubs dieser Stadt ausklingen lassen, was meinen Sie?»
    «Daraus wird nichts werden, Patrick.» Henderson war neben ihn getreten. «Leider können Sie im Moment dieses gastliche Haus nicht verlassen.»
    «Was soll das heißen», antwortete Hawley entrüstet. «Sind wir hier eingesperrt?»
    Augenblicklich entstand ein lautes Stimmengewirr. Schließlich gelang es Stone, sich Gehör zu verschaffen.
    «Harold, mein Freund, das geht jetzt endgültig zu weit. Dass wir nicht telefonieren dürfen, mit wem und wann wir wollen, kann ich noch tolerieren. Aber dass ich nicht dahin gehen kann, wohin ich gehen möchte, ist für mich nicht akzeptabel.»
    «Sie werden es akzeptieren müssen, Sie haben sich selbst dazu bereiterklärt.»
    «Niemals!»
    Henderson winkte Sanika Nuri zu, die zu ihrer Aktentasche ging und ein Schriftstück hervorzog. Sie hatte den ganzen Abend geschwiegen, war nur einige Male aufgestanden, um die Funktion der Videokamera zu überprüfen. Jetzt las sie mit einer angenehm warmen Stimme vor:
    «Paragraf 26, Absatz 5: Die Henderson Archeological Foundation ist berechtigt, während der Dauer der Arbeit an den Objekten aus dem unter Paragraf 2, Absatz 3 genauer bezeichneten Grabungsfund meinen Aufenthaltsort und meinen Arbeitsplatz zu bestimmen, ohne mit mir Rücksprache zu nehmen.»
    Henderson hatte die Hände in die Hosentasche gesteckt.
    «Danke, Sanika. Dieser Satz ist Bestandteil Ihrer Verträge, meine Herrschaften.»
    «Mein Gott», stöhnte Hawley, «wer liest denn schon dreißig Seiten Vertragtext.»
    «In Zukunft sollten Sie es tun, Patrick. Im Moment müssen Sie sich auf jeden Fall mit den Annehmlichkeiten dieser Herberge zufriedengeben.»
    Als Hawley erneut aufbegehren wollte, unterbrach ihn Henderson barsch:
    «Ich denke, Sie bekommen auch hier ein gut gezapftes Ale!»
    Engel hatte die Passage auch überlesen. Er hatte den ganzen Vertrag nur überflogen und sich vor allem für die finanzielle Seite seines Engagements interessiert. Jetzt versuchte er, die Wogen zu glätten.
    «Ich finde es zwar auch ungewöhnlich, uns hier einzusperren. Ich gehe aber davon aus, dass dies nur für die Anfangsphase der Untersuchungen gilt.»
    Henderson hatte sich wieder im Griff.
    «Wir werden das von Fall zu Fall entscheiden, Wolfram.»
    Er wandte sich der Gruppe zu.
    «Im Übrigen ist es zu Ihrer eigenen Sicherheit, das Haus nicht zu verlassen. Draußen würde Sie ein Aufgebot des Vatikans erwarten. Soweit ich weiß, sind die Herren in Rom in einem ziemlichen Aufruhr begriffen. Sie sehen ihre Felle davonschwimmen. Sicher würde man mit Ihnen nicht zimperlich umgehen, wenn man Sie auf der Straße in Gewahrsam nehmen könnte. Die Kirche hat viel Erfahrung darin, wie man die gewünschten Informationen aus einem Menschen herausholt.»
     
    ***
     
    Engel saß auf dem Sofa in seiner Suite und schaute durch das Fenster. Die Lichter eines vorbeifahrenden Dinner Cruiser schaukelten auf der Themse. Seit seiner Kindheit beruhigte ihn der Blick auf das Wasser. Wenn er sich vor irgendetwas fürchtete, ging er an den Teich hinter dem Haus und warf einen Kiesel hinein. Er beobachtete die Kräuselung der Wasseroberfläche, verfolgte die konzentrischen Kreise, die sich langsam und stetig über verbreiteten, und versuchte, noch die letzte, kleine Dünung wahrzunehmen, die der von ihm geworfene Stein ausgelöst hatte. Diese konzentrierte Beobachtung eines Phänomens, dessen Urheber er zwar war, dessen Ablauf er aber, einmal in Gang gesetzt, nicht mehr kontrollieren konnte, beruhigte ihn. Spätestens nach dem dritten Kieselwurf war jede Angst verschwunden. Später, als Student, saß er stundenlang an der Elbe und schaute den vorbeifahrenden Schiffen nach. Er vergrub sich in Details, versuchte etwa zu erkennen, wie viele Zentimeter die Wasserlinie unterhalb der Plimsoll mark lag. Oder er dachte sich Geschichten aus über das Schiff und seine Besatzung. Woher es käme, wohin es führe und was mit dem blinden Passagier passieren würde, wenn sie ihn mitten auf dem Atlantik entdeckten. Je länger er sich in diese Fantastereien versenkte, desto kleiner wurden seine Probleme, und am Ende lachte er

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