Im Antlitz des Herrn
Botschaft zu überbringen. Was befähigt diesen Mann zu dieser Mission?»
Henderson zuckte theatralisch mit den Schultern und hob die abgewinkelten Arme. Sein Gesichtsausdruck war der eines schlechten Komödianten. Er verharrte eine Sekunde in dieser grotesken Körperhaltung, ließ dann die Arme fallen, richtete die Schultern auf und rief, ja schrie fast:
«Er hält uns für dumm, der Herr Papst. Er glaubt, dass es reicht, den Bruder des wissenschaftlichen Leiters unseres Projekts zu uns zu schicken, und wir fallen vor ihm auf die Knie.»
Er winkte den Pfarrer zu sich und legte ihm den Arm um die Schultern. Leise, fast flüsternd, aber nicht weniger drohend sagte er zu ihm gewandt:
«Da irrt er sich, der Herr Papst, da irrt er sich gewaltig.»
Anschließend schubste er Thomas Engel in Richtung Zuschauerraum. Er brauchte zwei Sekunden, um sich zu orientieren, ehe er seinen Bruder erblickte und zu ihm ging. Sarah Goldberg rückte zur Seite und machte ihm Platz.
«Was zum Teufel tust du hier?», zischte Wolfram seinem Bruder entgegen, der den Finger auf die Lippen legte.
Mit großer Geste öffnete Henderson das Kuvert, setzte sich anschließend eine Lesebrille auf und begann in einem salbungsvollen Ton vorzulesen.
«Sehr geehrter Mister Henderson!
In den vergangenen Tagen sind mir wiederholt Informationen zugetragen worden, die eine Ihrer Ausgrabungen betreffen. Dabei wurde die Vermutung geäußert, es könne sich um einen Fund handeln, der für die gesamte Christenheit von großer Bedeutung sei.
Verehrter Mr. Henderson, Sie werden verstehen, dass wir größtes Interesse an allen Erkenntnissen haben, die uns das Erdenleben unseres Herrn Jesus Christus besser begreifen lassen. Ich darf Ihnen deshalb die größtmögliche Unterstützung der Kirche zusichern und lade Sie und Ihr gesamtes wissenschaftliches Team ein, Ihre Ergebnisse unserer Kommission für Geschichtswissenschaft vorzutragen. Um eine unqualifizierte und aufgeregte öffentliche Debatte zu vermeiden, die sicherlich auch nicht in Ihrem Interesse ist, würde ich es begrüßen, wenn dieses Treffen bald stattfinden könnte. Giuseppe Lamberti, der geschätzte Leiter dieser Kommission, steht Ihnen auch zuvor gerne für ein Gespräch zur Verfügung.»
Henderson blickte von dem Schreiben auf und nahm seine Lesebrille ab.
«Gesiegelt, unterschrieben und so weiter und so weiter ...» Gelangweilt ließ er das Blatt Papier zu Boden gleiten.
Im Publikum sprang Latour auf.
«Der alte Trick», rief er aufgebracht. «Sie lassen sich die Ergebnisse vorlegen, um anschließend mit Gegengutachten ihrer speichelleckenden sogenannten Wissenschaftler die Echtheit unseres Fundes zu bestreiten. Danach beginnt ihre Medienmaschine zu laufen, und wir sind die Dummen. So haben sie es immer gemacht. Mit dem Grabtuch, mit dem Jakobus-Ossuarium ...»
Er winkte mit einer ärgerlichen Geste ab und setzte sich hin.
Henderson streckte den Arm aus und machte eine beruhigende Geste in seine Richtung.
«Mit uns nicht, Latour, mit uns ganz bestimmt nicht.»
Er griff sich mit zwei Fingern an die Nasenwurzel und rieb daran.
«Obwohl – vielleicht sollten wir nach Rom fliegen. Sie bieten uns sogar an, die Papstmaschine nach London zu schicken, um uns abzuholen. Wem wird schon eine solche Ehre zuteil?»
Er lachte kurz auf.
«Aber vorher soll die Öffentlichkeit das hier zu sehen bekommen, und Sie, Herr Pastor Engel, sollten jetzt besonders gut aufpassen, damit Sie Ihrem Chef genau berichten können.»
Er hatte seinen Satz kaum beendet, da hob sich der komplette hintere Vorhang der Bühne und gab den Blick auf ein Halbrund frei, dessen Begrenzung von einer glitzernden, weißen Fläche gebildet wurde, während der Boden pechschwarz war. Als der Vorhang vollständig geöffnet war, erschien ein Bild auf den Rückwänden. Es wirkte statisch, war durch die Rundung der Projektionsfläche aber erstaunlich plastisch. Dargestellt war eine typisch mediterrane Landschaft, sanft hügelig, mit Zypressen und einem Olivenhain – eine ausgesprochen friedliche und bukolische Szene. Engel fragte sich, was Henderson vorhatte, als Bewegung ins Bild kam. Es war keine Fotografie, es war ein Film. Im Vordergrund betrat ein Paar die Szene. Der Mann führte einen Esel an einem Seil, die Frau ging etwa zwei Schritte hinter ihm. Beide trugen bodenlange Gewänder, die Frau ein Kopftuch. Der Mann hatte schulterlanges, dunkelbraunes Haar. Die Gesichter konnte man nicht erkennen, denn sie gingen vom Betrachter
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