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Im Antlitz des Herrn

Im Antlitz des Herrn

Titel: Im Antlitz des Herrn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Béla Bolten
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Vorraum von der großen Halle trennte, hingen lange, schwere Stoffbahnen von der Decke. Die Farbe war in dem Dämmerlicht kaum zu erkennen, Engel vermutete ein dunkles Purpur. Wie von Geisterhand tat sich exakt in der Mitte ein Spalt auf, und zwei Bahnen wurden in einem großen Schwung zu Seite gerafft. Auf der anderen Seite stand Henderson in einem eleganten, weißen Leinenanzug. Für Engels Geschmack war der Aufzug zu dandyhaft und passte eher in ein Strandcafé am Mittelmeer.
    «Kommen Sie, meine Freunde. Es gibt wunderbare Neuigkeiten.»
    Während er einen nach dem anderen mit Handschlag begrüßte, sprach er weiter:
    «Wir haben das Mausoleum provisorisch in seine endgültige Form gebracht. Ein paar Kleinigkeiten fehlen noch, aber ich denke, alle werden begeistert sein. Wir haben auch nicht mehr viel Zeit. In wenigen Tagen installieren wir es an seinem Bestimmungsort, und dann werden wir die Weltöffentlichkeit zu Gast haben. Alle werden sie kommen, Kaiser, Könige, Staatspräsidenten, Minister. Sogar der Papst wird kommen.»
    «Eher erlaubt er die Vielweiberei.»
    Hawleys Bass wurde von den Stoffmassen fast verschluckt.
    «Sie werden es sehen, Patrick», flötete Henderson. «Auch der Herr Papst wird diesen wunderbaren Klängen lauschen.»
    Er deutete mit einem Finger auf die unsichtbaren Lautsprecher.
    «Bach?», fragte Engel.
    Henderson lachte. «Weit gefehlt. Diese herrliche Kantate stammt von Christoph Graupner.»
    Er schaute Engel an, der mit den Schultern zuckte. Hendersons Gesicht verdüsterte sich leicht.
    «Sie kennen ihn nicht, wie könnte es anders sein. Dabei sollte er damals Thomas-Kantor werden, und nur weil Graupner ablehnte, bekam Bach die Stelle. Er ist einer dieser verkannten Genies, von denen die Welt voll ist.»
    «Schade, dass man den Text nicht versteht», warf Engel ein.
    «Keine Sorge, Professor, eine Neuaufnahme ist längst fertig. Wenn der Herr Papst durch diesen Vorhang tritt, begrüßen ihn die glasklaren Stimmen der Thomaner. Ich habe extra eine Umarbeitung des Werkes für diesen wunderbaren Chor veranlasst. Der Titel der Kantate ist ja auch zu passend: ‹Das Antlitz des Herrn›.
    Engel glaubte fast, ein leises Kichern zu hören. Als er den schweren Vorhang hinter sich gelassen hatte, verschlug es ihm die Sprache. Er stand auf der obersten von zwölf Stufen, die halbkreisförmig angelegt ein perfektes Amphitheater bildeten.
    «Bitte setzen Sie sich.»
    Henderson drehte sich mit ausgebreiteten Armen um die eigene Achse.
    «Leider haben wir es noch nicht geschafft, die Sessel zu montieren. Aber ich denke, Sie werden es für kurze Zeit auf den Stufen aushalten.
    Während sich die Gruppe in den untersten zwei Reihen niederließ, betrat Henderson die Bühne. Sie war im rückwärtigen Teil ebenfalls mit Stoffen ausgekleidet, die wesentlich heller waren als im Zuschauerraum. Es entstand fast die Illusion von in Pastelltönen getünchten Wänden. Aus dem Boden erschien geräuschlos ein Rednerpult, das an eine Kanzel erinnerte. Die Seiten waren mit vergoldeten Holzleisten eingefasst. Auf der Frontseite befand sich das Logo der HAF - wie könnte es anders sein, auch in Gold.
    Henderson trat hinter das Podium und blickte in die Runde.
    «Nun, liebe Freunde, bevor ich Ihnen referiere, welche neuen Erkenntnisse Dutzende fleißiger Labormitarbeiter in den vergangenen Tagen zutage gefördert haben – und ich darf Ihnen versprechen, es sind sensationelle Ergebnisse –, möchte ich eine Botschaft verlesen, die mich heute erreichte. Er griff unter das Pult und hielt anschließend mit beiden Händen ein Kuvert in die Höhe. Die Geste entsprach der Präsentation der Monstranz durch einen Priester. Selbst aus dieser Entfernung erkannte Engel das päpstliche Wappen.
    «Ich denke, Sie können alle erkennen, von wem die Nachricht stammt.»
    Ein Raunen ging durch den Raum.
    «Jawohl, der Papst hat mir, ach, was sage ich, er hat uns allen ein Schreiben übersandt. Er tat es nicht anonym, sondern er bediente sich eines Boten, den ich Ihnen hiermit vorstellen darf.»
    Am rechten hinteren Rand der Bühne schwang der Stoff zurück, sodass ein Durchgang entstand. Thomas Engel trat langsam und schüchtern ins Rampenlicht und stellte sich neben die Kanzel.
    «Der Papst wählte nicht einen von seinen Tausenden Mitarbeitern in Rom. Nein, er schickte uns einen besonderen Mann.»
    Der Spott in Hendersons Stimme war nicht zu überhören.
    «Er wählte den Pfarrer eines kleinen, unbedeutenden Dorfes, um uns seine

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