Im Auftrag der Väter
an.«
»Kannst du das heute machen? Es eilt ein bisschen.«
»Habt ihr einen Mörder, der ein religiöser Fanatiker ist?«
»Vorerst nur einen Einbrecher.«
»Vorerst?«
»Könnte sein, dass er in ein paar Tagen wiederkommt.«
»Und etwas ... Schlimmeres tut?«
Louise zuckte die Achseln.
»Wie viel Verantwortung du hast«, murmelte Jenny Böhm.
Sie schwiegen ein paar Minuten lang, folgten den feuchten Wegen und Pfaden, mal hintereinander, mal nebeneinander, vorbei an Grüften, Kreuzen, steinernen Engeln, Statuen, denen Glieder oder der Kopf fehlten, all den Toten, bei denen Jenny Böhm Trost zu suchen pflegte.
Es begann zu nieseln, aber sie achteten nicht darauf.
»Ich kann nachsehen, ob der Vers in den Introiten verwendet wird. Falls ja, könnte er ihn daher kennen.«
»Was sind Introiten?«
»Die Eingangsgesänge in den Gottesdiensten beziehungsweise Messen, bei denen auch Psalmverse rezitiert werden. Wenn er sehr religiös ist oder vielleicht sogar einem Orden angehört, kennt er den Vers von den Stundengebeten. Die Mönche und Kleriker beten innerhalb eines bestimmten Zeitraums alle hundertfünfzig Psalmen. Früher an einem Tag, heute haben sie vier Wochen.«
»Mein Gott, da bleibt nicht viel Zeit für anderes.«
Jenny Böhm lachte nicht. »Ja, weder für sündige Gedanken noch für sündige Begierden.«
»Apropos«, sagte Louise. »Hab ich dir erzählt, dass ich im Kloster war?«
Jenny Böhm blieb stehen, strich sich eine feuchte Strähne aus der Stirn. »Im Kloster?«
»Nach Oberberg war ich in einem Zen-Kloster im Elsass. Sozusagen zur Entwöhnung.« Louise erzählte von den Monaten im Kanzan-an im Frühjahr 2003 , den langen Spaziergängen im Wald mit dem Roshi, der grauen Katze, der deutschen Nonne Chiyono, die kein Ich mehr hatte und trotzdem oder gerade deshalb so fröhlich war, von den Tee-Zeremonien, die ihr im Rückblick unendlich langwierig und anstrengend vorkamen, mein Gott, das dauert, bis du da mal eine Tasse Tee in der Hand hast, du sitzt im Schneidersitz da und hast Kreuzschmerzen und Durst und wartest und fragst dich, ob du nicht irgendwo einen Schluck Sake, oder was die Japaner so trinken, auftreiben und in den Tee gießen kannst, und dann ist der Tee endlich fertig, aber die Tasse ist so klein, dass du sie mit einem Schluck geleert hast ...
Sie sah Jenny Böhm an. Lach doch mal, Jenny.
Aber Jenny Böhm lachte nicht.
Sie kehrten zum Eingang des Friedhofs zurück, gingen zur Straße. Der Nieselregen hielt an. Jenny Böhm versprach, noch am Vormittag wegen des Psalmverses zu telefonieren. Als sie den roten Renault Mégane mit der blauen Motorhaube und der blauen Fahrertür sah, glitt ein unruhiges Lächeln über ihr Gesicht. In Oberberg waren sie an den Sonntagnachmittagen mit dem Mégane über Land gerast, hatten Kassetten mit der Musik ihrer späten Jugend gehört, sich
bei Kate Bush die Seele aus dem Leib gebrüllt und bei Udo Lindenberg im Duett geheult.
Lady Whisky im Doppelpack.
Jenny Böhm stand reglos da, die Fingerspitzen in den Jeanstaschen. »Tja«, sagte sie. »Das gilt jetzt nur noch für mich.«
»Du hast es einmal geschafft, du schaffst es wieder.«
Ein vages Nicken.
»Jenny, krieg den Hintern hoch, ja?«
Jenny Böhm lächelte überrascht.
»Ich will dich beim nächsten Treffen sehen.«
Ein vages Nicken.
»Jenny?«
»Hm?«
»Du kommst?«
»Ich ...« Ein Hauch von einem »Ja« folgte.
»Gut.«
Sie umarmten sich.
Als sie im Wagen saß, fragte Louise sich, ob sie sich damit verpflichtet hatte, ebenfalls zum nächsten Treffen zu gehen. Sie grinste verärgert, schob die Santana-Kassette in den Schlitz.
Es wäre ihr Erstes überhaupt.
»Nicht wieder ein
Mönch«,
sagte Rolf Bermann.
»Ach was«, sagte Louise.
»Nie wieder ein
Mönch,
hörst du?«
Sie schlug die Beine übereinander, gähnte, wartete. Bermanns Montagmorgenkoller waren intensiver als die anderer Kollegen, dafür auch wesentlich kürzer.
»Schlepp mir bloß nie wieder einen
Mönch
an.«
Bermann rollte mit seiner Tasse auf dem Schreibtischstuhl
zur Kaffeemaschine, goss sich nach, rollte zurück, rieb sich die müden Augen.
Kurz vor neun, sie saßen in seinem Büro im dritten Stock, dem Reich des Dezernates Kapitalverbrechen, dessen Leiter Rolf Bermann noch immer war, was Vorteile und Nachteile hatte. Vor einem Jahr hatte er sich um die Leitung der Inspektionen I und III und damit der Dezernate 11 , 12 , 13 , 31 und 32 beworben und war erwartungsgemäß Anselm Löbinger vom D
Weitere Kostenlose Bücher