Im Auftrag der Väter
Hauptsachbearbeiter geboren und ermittelte schon lange nicht mehr selbst. Spuren suchen interessierte ihn nicht, doch Spuren aufnehmen, ordnen, im Gedächtnis behalten, mit anderen Spuren in Verbindung bringen, das tat er leidenschaftlich gern. Am liebsten, wenn er sich dafür so wenig wie möglich bewegen musste. Er hatte sich einen Spezialbürostuhl gekauft, der sich für ihn bewegte – wippte, schwang, rollte, je nachdem, in welche Richtung sich der schwere Leib des Alfons Hoffmann neigte. Bewegung war abends, pflegte er zu sagen – ärztlich verordnete Spaziergänge, Fitnessprogramme, Schwimmen, Saunagänge. Tagsüber verlangte sein Kreislauf nach Ruhe.
Und nach Nahrung.
Er griff nach einer Papiertüte, die er auf dem Schreibtisch abgelegt hatte, zog ein Schokocroissant heraus.
Anne Wallmer und Mats Benedikt würden zu den Obdachlosen-Treffpunkten fahren – Stühlinger Kirchplatz, Colombi-Schlösschen, das Flughafen-Wohnheim und so weiter. Fragt nach Unbekannten, nach Osteuropäern, fragt nach einem mit einer Pistole. Nach einem, der Psalmen rezitiert.
Wer zu den Russen fuhr, würden sie am Mittag besprechen.
»Den Spätaussiedlern«, korrigierte Alfons Hoffmann und biss in das Croissant.
»Ob sie das lieber hören?«
»Eigentlich«, sagte Alfons Hoffmann kauend, »könnten wir auch ›Deutsche‹ zu ihnen sagen.«
»Das wär bloß verwirrend«, sagte Anne Wallmer.
»Lässt du mich mal beißen?«, fragte Louise.
Alfons Hoffmann erstarrte. »Mal beißen?«
»›Wir fahren zu den Deutschen nach Landwasser‹? Wer soll da wissen, was gemeint ist?«, brummte Anne Wallmer.
»Gib schon rüber.«
»Gib schon rüber?«
Louise rutschte vom Fensterbrett, entwand Alfons Hoffmann das Croissant und biss hungrig hinein.
»Mal beißen!«, sagte Alfons Hoffmann entsetzt.
»Und du?«, fragte Mats Benedikt.
»Ich fahr zu den Niemanns«, erwiderte Louise kauend und leckte sich Schokolade von den Lippen.
»Allein?«
Sie zuckte die Achseln. »Noch ist ja nicht direkt was passiert.«
2
EIN BERMANN - SATZ , dachte sie, als sie in den Wagen stieg, wie furchtbar. Kaum leitete sie Ermittlungsgruppen, schlichen sich Bermann-Sätze in ihre Ausdrucksweise. Griffen Gruppenleiter automatisch auf dasselbe Vokabular zurück? Legte sich mit der Übernahme einer leitenden Funktion im Hirn ein Schalter um, der ein bis dato versiegeltes Gruppenleiterwortreservoir öffnete?
Sie stieß ein Lachen aus.
Wie leicht man Rolf Bermann wurde.
U 2 half,
The Joshua Tree,
zusammen mit diversen anderen eine der besten Scheiben des vergangenen Jahrtausends. Der Kassettenspieler rauschte, die Kassette leierte, aber das konnte »Where the Streets Have no Name« nicht wirklich etwas anhaben.
Während sie die Merzhauser Straße Richtung Süden fuhr, grummelte der Bermann-Satz in ihren Eingeweiden vor sich hin.
Ist ja nicht direkt was passiert. Ist nicht direkt was passiert.
Irgendetwas war mit diesem Satz.
Dann wusste sie es. Mit diesem Satz hatte Bermann sie im Januar 2003 hinausgeschickt nach Liebau, zu Taro, dem Mönch. Sie war mit einem toten und einem schwerverletzten Polizisten zurückgekehrt.
Das, dachte sie, war nun definitiv ein Louise-Bonì-Satz.
Sie passierte Vauban, das ehemalige Kasernengelände im Süden Freiburgs, auf dem nach dem Abzug der Franzosen in den Neunzigern ein buntes Ökoviertel mit Plätzen und Wegen, mit Spar- und Passivhäusern und wie das alles hieß, entstanden war. Marcel kam ihr in den Sinn, der es hier mit ihr versuchen würde, obwohl er sie doch kaum öfter als zweimal im Monat sah, abends aufs Gerüst musste und morgens ohne Umschweife hinausgeworfen wurde.
Sie lächelte zufrieden. Ein Mann, der mit ihr leben wollte.
Wenn auch nur hier, im putzigen Vauban.
Ganz anders als Vauban dann Merzhausen, das sich unmittelbar daran anschloss, aber schon jenseits der Stadtgrenze lag, ein schlichter Ort am Fuße des Kreuzkopfs auf der einen und des Schönbergs auf der anderen Seite, zweigeteilt von der stauträchtigen Hexentalstraße, viel älter als Freiburg und doch wie nachträglich drangeklebt, als sollte oder wollte oder musste es auch ein bisschen Großstadt sein. Sie hielt in einer ruhigen Straße am westlichen Ortsrand, blickte auf moderne weiße Reihenhäuser mit Carports, viel Grün, viel Holz, viel Glas und viel Balkon, lichte Häuser, die nicht so recht zu Merzhausen passen wollten, das sonst eher gedrängt und ein bisschen durcheinander wirkte.
Sie stieg aus, ging auf das Eckhaus zu. Dass
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