Im Auftrag der Väter
weggenommen.«
Sekundenlang herrschte Stille. Dann fragte Henriette Niemann: »Und jetzt? Haben Sie jetzt auch Ahnungen?«
Louise nickte.
»Um Himmels willen«, murmelte Mats Benedikt.
»Welche?«
»Nein, Louise ...«
»Ich glaube, dass er versuchen wird, Ihren Mann zu töten.«
Henriette Niemann erstarrte. Tränen traten ihr in die Augen, liefen ihr über die Wangen. Sie zog ein Taschentuch aus der Schürze, wischte die Tränen weg, schnäuzte sich. Dann nickte sie. »Ich werde es ihm nicht sagen. Aber jetzt kann ich auf ihn aufpassen.«
Sie gingen nach oben in das Gästezimmer, in dem Henriette und Paul Niemann schliefen, ein kleiner, dunkler Raum mit Blick auf die fensterlose Wand des Nachbarhauses, schweren Bauernmöbeln, einem Teppich, der jedes Schrittgeräusch schluckte, ein Raum, Lichtjahre entfernt von den Zimmern in dem Haus aus Holz und Glas. Paul Niemann saß in einem Sessel vor dem kleinen Fenster, umrahmt von zwei dunkelbraunen Vorhängen. Er reagierte nicht, als sie eintraten. Auch als Henriette Niemann zu ihm ging und ihn ansprach, rührte er sich nicht. Er trug einen viel zu großen Morgenmantel, darunter einen viel zu großen Schlafanzug, viel zu große Pantoffeln. Die Schwägerin schien die Kleidung ihres toten Mannes vier Jahre lang aufgehoben zu haben, nun zahlte es sich aus.
»Paul«, sagte Henriette Niemann wieder. »Paul.«
Endlich sah er sie an.
»Die Kripo.« Ihre Stimme war sanft. Aber sie berührte ihn nicht.
Paul Niemanns Blick wanderte weiter, zu Mats Benedikt, Louise, kehrte zu seiner Frau zurück. Seine Hände lagen im Schoß, sein Kopf war leicht zur Seite geneigt. Mitleid durchströmte Louise, dann eine Welle des Ärgers, auf ihn, auf sich. Paul Niemann war der Schlüssel, aber er hatte nicht gesprochen, und sie hatte kein Mittel gefunden, ihn zum Sprechen zu bringen.
»Nur ein paar Fragen«, sagte Mats Benedikt freundlich.
Nur ein paar Fragen?, dachte Louise. Nein. So viele Fragen, so viele Stunden, wie nötig waren, um endlich herauszufinden, was Paul Niemann mit dem alten Krieger verband.
Louise und Mats Benedikt standen, Henriette Niemann saß auf der Bettkante. Sie hatte angeboten, nach unten zu gehen, falls Louise und Mats Benedikt allein mit ihrem Mann sprechen wollten. Louise hatte sie gebeten zu bleiben. Sie hatte nicht vor, von der Liebe zu sprechen, die vorbei war, aber sie würde nutzen, was sie wusste, um herauszufinden, was sie wissen wollte.
Mats Benedikt sah sie an, nickte kaum merklich, fang an, versuchen wir es mal, erst du, dann ich. Es gelang ihm nicht, die Skepsis zu verbergen. Er wusste wohl, dass es wieder um Ahnungen gehen würde. Louise lächelte flüchtig, spürte einen Anflug von Wehmut, so war es eben mit den Kollegen. Nur mit Thomas Ilic war es anders gewesen, der hatte sich auch auf Ahnungen eingelassen, der konnte das, mit seinem Schnellhefter, in dem sich die Ordnung befand, die man so brauchte im Abgrund der Louise Bonì – Kopien von Stadtplanauszügen, Fotos, Telefonnummern, Namen und die vielen blauen Wörter, die er notierte, damit sie nicht verloren gingen im Sumpf der Ahnungen.
Doch Thomas Ilic war krank, hatte es nicht zurückgeschafft aus dem Abgrund.
Sie nickte. Also erst mal auf meine Art, mein lieber Mats, willkommen in meinem Reich, wo auch die Niedertracht zu Hause ist.
Zuerst das Foto, Johannes Miller, einer der anderen Deutschen aus dem Osten. Sie zeigte Paul Niemann die Karteikarte, ohne dass er den Namen lesen konnte, wusste, dass er verneinen würde, und so war es, er schüttelte den Kopf. Sie steckte das Foto ein. Johannes Miller, da stimmte einfach zu vieles nicht, kein alter Krieger, nur ein alter Mann ohne Heimat. Der Vergleich der Fingerabdrücke würde auch den objektiven Beweis bringen. Sophie
Iwanowas Gefühl hatte getrogen, Friedental/Friedland, das mochte kein gutes Omen gewesen sein, doch es hatte Johannes Miller nicht zum Verbrecher gemacht. Aber er blieb verschwunden, und sie würden ihn suchen, wenn auch nicht mehr als Tatverdächtigen.
Sie warf einen Blick auf Henriette Niemann, wandte sich wieder Paul Niemann zu. »Sagt Ihnen das Wort ›Valpovo‹ etwas?«
Er schien einen Moment lang nachzudenken, schüttelte dann den Kopf.
»Frau Niemann?«
»Nein.«
Louise nickte, wartete. Ihr Blick fiel auf eine Reihe quadratischer Bleistiftzeichnungen, die unterhalb eines Bücherbords entlang der Wand befestigt waren. Porträts eines Mannes, immer desselben Mannes, von einem Laien gezeichnet, aber
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