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Im Auftrag der Väter

Im Auftrag der Väter

Titel: Im Auftrag der Väter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Bottini
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die Ähnlichkeit der Gesichter war deutlich zu erkennen, auch die Ähnlichkeit des Mannes mit Henriette Niemann. Doch als sie genauer hinschaute, fiel ihr auf, dass sich der Mann von Zeichnung zu Zeichnung veränderte, am Ende anders aussah als am Anfang, auch die Ähnlichkeit mit Henriette Niemann war verlorengegangen, als wäre der Mann allmählich zu einem Fremden geworden. Sie überlegte, ob die Frau, die diese Porträts gezeichnet haben musste, die Frau, in deren Haus sie sich befanden, bemerkt hatte, dass sich der Mann auf den Porträts veränderte.
    Was sie dabei empfunden haben mochte.
    »Was ist Valpovo?«, fragte Henriette Niemann.
    »Ein Ort in Kroatien.«
    »In Kroatien? Aber ... Ich verstehe nicht.«
    »Der Mann, den wir suchen, hat nichts mit den Deutschen aus Russland zu tun«, sagte Louise.
    »Sondern mit Kroatien?«
    »Vermutlich mit den Deutschen aus dem ehemaligen Jugoslawien.«
    »Aber wie kommen Sie auf Jugoslawien? Wegen Vapol ...«
    »Wegen Valpovo, ja.«
    »Gut, und wie kommen Sie auf Valpovo?«
    Louise erzählte. Ein Obdachloser in Lahr, ein Fremder mit einem Zigarettenetui, eine Gravur, ein Ort in Kroatien, in dem sich ein Internierungslager für die Jugoslawiendeutschen befunden hatte, dazu eine Jahreszahl, 1945 , als das Lager noch existiert hatte. Henriette Niemann hatte die Stirn gerunzelt, ungläubig zugehört, natürlich, überzeugend war das alles nicht. »Ich verstehe«, sagte sie wieder.
    Paul Niemann sagte nichts. Sein Blick ging zwischen dem Fenster, Louise und Mats Benedikt hin und her. Um seine Frau ansehen zu können, hätte er sich umdrehen müssen. Er machte keine Anstalten, sich umzudrehen.
    »Kein Russlanddeutscher«, sagte Louise zu ihm. »Wir müssen davon ausgehen, dass diese Spur falsch ist. Dass Sie ihn nicht aus dem Bürgerservice kennen. Wahrscheinlich kennen Sie ihn nicht einmal aus Freiburg.«
    »Aber woher dann?«
    »Von früher.«
    »Früher?«
    Louise nickte. »Aus München.«
    »Ausgeschlossen ... Ich würde mich erinnern.«
    »Sie würden sich erinnern, wenn Sie ihm in Freiburg begegnet wären.«
    Paul Niemann wandte sich schweigend ab.
    »Aber München«, sagte Louise, »das ist etwas anderes, nicht wahr, Herr Niemann?« Sie sah Henriette Niemann
an, die ihren Blick erwiderte. »In München kann so etwas nicht angefangen haben, richtig? Nicht in München.«
    »Nein«, sagte Paul Niemann.
    In Henriette Niemanns Augen glitzerten Tränen. Aber sie hielt dem Blick stand.
    »Nicht in München, wo alles anders und schöner war. Wo Sie und Ihre Frau miteinander im Chor gesungen haben. Wo Sie noch Zeit hatten füreinander.«
    Paul Niemann sagte nichts.
    »Es würde nicht zu München passen, richtig?«
    »Es war nicht in München.«
    »Ja«, sagte Louise.
    »Es muss in Freiburg gewesen sein. Im Bürgerservice.«
    »Ich weiß.«
    Sie sahen sich an. Er wirkte sehr ruhig, sehr müde, sehr weit weg, und sie dachte, dass sie ihn verloren hatten zwischen gestern und heute. Henriette Niemann würde durchhalten, Paul Niemann nicht. Er würde nie über das hinwegkommen, was an diesem Morgen geschehen war.
    »Am Anfang war ich nicht sicher ...«, sagte er.
    »Dass er Russlanddeutscher ist?«
    Er nickte. »Inzwischen schon.«
    »Die Art, wie er gesprochen hat.«
    »Ja.«
    »Vielleicht sprechen die Deutschen aus Jugoslawien ähnlich.«
    »Ich hatte keinen Kontakt zu Deutschen aus Jugoslawien.« Ein Achselzucken, nicht einmal besonders deutlich. Glauben Sie mir, oder glauben Sie mir nicht.
    Ja, sie hatten ihn verloren.
    »In Freiburg.«
    Er nickte.
    »Und in München?«
    »Auch nicht.« Eine Handbewegung, ein wenig ungeduldig beinahe. Lassen Sie München aus dem Spiel, das bringt doch nichts. Sie lächelte kühl. Die Ahnungen verstärkten sich. München, das durfte nicht sein. In München lagen die Antworten.
    »Was genau haben Sie in München gemacht?«
    »Ich war im Sozialreferat.«
    »Der Stadt München?«
    »Ja.«
    »Zuständig für was?«
    »Senioren. Die Versorgung der einzelnen Stadtteile mit Senioreneinrichtungen.« Wieder das Achselzucken, sehen Sie, München führt zu nichts, nicht in München.
    »Am Anfang hielten Sie es für ausgeschlossen, dass Sie ihm im Bürgerservice begegnet sind, ohne sich an ihn zu erinnern. Am Montag.«
    »Ja.«
    »Inzwischen halten Sie es für möglich.«
    »Es muss so sein.«
    Louise begegnete Mats Benedikts nachdenklichem Blick. Sie schürzte die Lippen. Senioreneinrichtungen, zugegeben, das klang nicht allzu aussichtsreich. Aber es war

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