Im Auftrag der Väter
zu töten.
Um acht begann die erste Sitzung der Soko »Merzhausen«. Bob, die Pressesprecherin, die Mitglieder der Ermittlungsgruppe, eine Handvoll weiterer Kollegen saßen im Sokoraum, Bermann, der die Soko leitete. Louise berichtete zum dritten oder vierten Mal an diesem Morgen, was in der Nacht geschehen war, zum ersten Mal, was seit Samstagmittag geschehen war. Gewöhnlich setzten Sokos Adrenalin frei – die Jagd begann, die Hunde nahmen Witterung auf. An diesem Morgen empfand Louise das Protokoll als lähmend. Sie wollte endlich nach Merzhausen, vielmehr: nach
Au, wo die Niemanns untergekommen waren. So viele Dinge mussten geklärt werden, vor allem eines: Wie passten Valpovo 1945 , die Deutschen aus Jugoslawien und Paul Niemann zusammen?
Aber dann dachte sie, dass sie vor allem nach Merzhausen wollte, um Henriette und Carola Niemann zu sehen. Dass sie sich entschuldigen wollte, sich vergewissern wollte, dass es ihnen den Umständen entsprechend gut ging.
Gegen neun verteilte Bermann die Aufgaben. Die Valpovo-Spur, erfuhr Louise, war nur eine unter mehreren. Da waren noch die Russen-Spur, die Wohnsitzlosen-Spur, die Bauern-Spur, die Liebhaber-Spur, die Psychopathen-Spur.
Bobs Handschrift.
Sie sagte nichts. Bob hatte schon recht. Einer musste an alles denken. Auch deshalb war es ihr nicht allzu schwergefallen zu akzeptieren, dass sie aufgrund ihrer Vergangenheit nie eine Soko leiten würde. Der Preis für die Intensität, mit der sie zu arbeiten bereit war, war der Überblick. Das schloss sich nun mal aus, das große Ganze und der Sturz in den Abgrund.
Mats Benedikt kam mit in den Abgrund.
Sie fuhren im Dienstwagen von Mats Benedikt zur Brandstätte. Louise blieb im Wagen, Mats Benedikt stieg aus. Gestern ein hübsches Haus aus Holz und Glas, jetzt stand nur noch das Gerippe – vier Stahlträger, die Treppe in den ersten Stock. Die Decken und die Treppe in den zweiten Stock waren eingestürzt.
Ist es ganz weg? Ist alles weg?
Sie wandte den Blick ab, beobachtete Mats Benedikt, der mit einem der Schutzpolizisten sprach, die den Brandort sicherten, herumging, den Anblick in sich aufnahm, Notizen
machte. Es tat gut, ihm zuzusehen, zu wissen, dass es Kollegen gab, die wunderbar nüchtern sein konnten, die in die Abgründe hinein- und auch aus ihnen hinaustreten konnten.
Das Haus der Schwägerin in Au war groß, alt und ein wenig vernachlässigt. Es lag in einer Querstraße der Hexentalstraße, dicke weiße Mauern unter einem trotzigen, dunklen Dach. Henriette Niemann empfing sie in Schürze und Putzhandschuhen. Unter ihren Augen lagen schwarze Ringe, das Gesichtchen war von Tausenden winzigen Falten durchzogen, der Mund ein Strich. Sie brachte ein Lächeln zustande. »Sie möchten sicher Kaffee, ich habe viel zu viel gemacht, wegen dem Geruch ...« Sie wandte sich ab, eilte voraus.
»Wegen dem Geruch?«, flüsterte Mats Benedikt.
Louise zuckte die Achseln.
Aber dann, als sie in einer kahlen, riesigen Küche standen, glaubte sie zu begreifen. Der Geruch nach Kaffee ... Wenn man die Augen schloss, konnte man sich vorstellen, in einem Haus aus Holz und Glas zu sein.
Sie saßen an einem überdimensionalen dunkelbraunen Holztisch. Eine Glastür führte in einen Gemüsegarten, der vollkommen verwildert, verwachsen, vernachlässigt war, ein Dickicht aus Zweigen, Laub, aufgeplatztem Gemüse.
Die Schwägerin, die sich nicht wieder zurechtfand im Leben.
Henriette Niemann hatte Tassen und eine Thermoskanne vor sie gestellt, Milch aus dem Kühlschrank geholt, nun stand sie neben Louise und murmelte: »Den Zucker finde ich nicht.«
»Ich brauche keinen Zucker«, sagte Mats Benedikt.
»Ich auch nicht«, sagte Louise.
»Doch«, sagte Henriette Niemann.
»Heute nicht.« Louise strich ihr mit der Hand über den Arm. Henriette Niemann nickte. In ihrem Blick lagen Dutzende Fragen, doch sie schwieg. Die Tochter, die nicht hinsehen wollte. Die Mutter, die nicht fragen wollte.
»Sie ist ein bisschen ... schlampig.«
»Ihre Schwägerin?«
»Der Zucker steht mal hier, mal da. Mal in der Küche, mal im Wohnzimmer, mal im Esszimmer. Manchmal steht er im Kühlschrank. Heute ...« Henriette Niemann holte tief Luft. »Heute finde ich ihn nicht.«
Mats Benedikt räusperte sich und schwieg. Louise sagte: »Ich bin auch so. Schlampig, meine ich. Die Dinge haben keinen festen Platz. Hat meinen Mann zur Raserei getrieben.«
»Ja«, sagte Henriette Niemann.
»Als ich ihn rausgeschmissen habe, hat er keine
Weitere Kostenlose Bücher