Im Auftrag des Tigers
Dieselschwaden, die der Fahrtwind durch das Loch in der Windschutzscheibe herein wirbelte, und dachte daran, daß nun die anderen aufholen konnten, falls sie nicht aufgegeben hatten … Endlich, die blaue Rückwand des Kühllasters wich zur Seite. Ein Blick in den Rückspiegel genügte, um ihr zu zeigen, daß eingetreten war, was sie befürchtet hatte.
»Da sind sie wieder!« schrie Tan in den Lärm des hochtourenden Motors.
Ja, da waren sie wieder.
Aber hier auf der Autobahn würden sie es sich überlegen, mit Maschinenpistolen herumzuballern.
Und noch etwas hatte Maya gemerkt: Die schweren, eisernen Leitplanken, welche die Fahrbahnen voneinander trennten, machten einer Reihe von Oleanderbüschen Platz. Soweit sie es erkennen konnte, war die Gegenfahrbahn gerade frei.
»Halt dich fest!«
Bremse. Sie rammte sie voll durch, hielt dabei den wild schlingernden Wagen mit Aufbietung aller Kraft auf Kurs, riß dann, als sie glaubte, es sich leisten zu können, das Steuer nach links, pflügte den Colt über den Grünstreifen und durch die Büsche auf die Parallelfahrbahn.
»Bist du völlig wahnsinnig?! Maya, was soll das? Maya, um Himmelswillen! Das ist …«
Keine Gegenfahrbahn? Oh nein! An dieser Stelle war der Express-Way sechsspurig angelegt. Und er wies in dieselbe Richtung. Sie war nicht wahnsinnig, sie war zu dämlich gewesen, es zu erkennen … Und jetzt spielte sie den Geisterfahrer. Lichter, die vor ihr aufflammten. Scheinwerfer blendeten. Bremsen schrien. Die Reifen der Fahrzeuge, die in verzweifelten Manövern auswichen, quietschten. Auch hier gab's Oleander. Und wieder gehorchte der Colt, als sie ihn herumriß. Diesmal nach rechts. Blätter flogen, Äste knackten. Laß niemand kommen – bitte, bitte! betete sie, trotz ihrer Angst erfaßt von einer überreizten, fast heiteren Distanz zu allem, was passierte.
»Meine Kinder!« Tan brüllte. »Bist du dir im klaren, daß ich Kinder habe?!«
Sie war sich nicht im klaren. Und es war auch gar nicht wichtig. Wichtig war, daß sie dem Wagen auswich, der gerade auf sie zuraste, ohne daß der Colt sich dabei überschlug. Aber er kam aus der richtigen Richtung. Von hinten.
Sie schaffte auch das …
Sie fuhr jetzt ganz rechts, auf dem Überholstreifen. Sie fuhr langsam und versuchte das Zittern in ihren Armen zu bändigen. Schweiß lief über ihre Stirn. Tan sprach keinen Ton. Tan hing in seinem Sitz, den Kopf nach vorne.
»Tan!«
Er schwieg.
Ihr Gehirn arbeitete. Sicher hatte einer dieser ordnungsbesessenen Singapurer die Nachricht vom Geisterfahrer auf dem Keppler durch sein Bordtelefon durchgegeben. Und die Kennzeichennummer gleich mit. Nur weg hier. Bloß runter vom Express-Way!
War auch nicht schwierig. Drei Minuten später öffnete sich auf der rechten Seite ein kleiner Weg, der durch ein aufgestelltes Verbotsschild gesperrt war. Der Colt warf es mit der Stoßstange zur Seite. Und dies war auch der letzte Gefallen, zu dem er bereit schien: Es gab ein trockenes Knacken, die Karosserie legte sich zur Seite wie eine Sänfte, und genauso begann sie auch zu schwanken. Maya stieg auf die Bremse.
»Scheiße, Verdammte«, sagte Tan. »Die Stoßdämpfer.«
Sie nickte und steuerte den Wagen langsam zwischen Kistenbergen und Stapeln von Baubrettern in einen Fabrikhof.
Tan starrte sie an. Seine Stirn war blutverschmiert.
»Oh Gott …«
Sie stellte den Motor ab, zog den Schlüssel raus und warf ihn Tan zu. Dann stieg sie aus, nahm die Tasche und schulterte sie.
Sie standen vor einer grauverschmierten Betonfront. Es roch nach Sägemehl und Ölrückständen.
»Komm, Tan!«
»Und mein Wagen?«
»Laß ihn stehen.«
Irgendwo an der grauen Hausfassade ging ein Licht an. Eine Frau rief. Ein Mann antwortete.
»Tan, was ist denn?«
Er lehnte an der Hofausfahrt, gekrümmt, die Faust gegen den Magen gepreßt und übergab sich.
Sie versuchte, sich zu orientieren. Sie kannte Singapur gut. In dieser Gegend war sie noch nie gewesen.
Sie zog Tan, der sich mit dem Taschentuch den Mund säuberte, durch das Tor. Dann blieb sie stehen. Ein Wagen kroch ihnen langsam entgegen. Ein Wagen mit vier rechteckigen Scheinwerfern. Ihr Herz krampfte sich zusammen.
Doch es war ein Taxi. Sie hob die Hand, um es anzuhalten …
Gesetze hatten Philip Wang Fu nie sonderlich interessiert. Gesetze waren von der Politik gemacht und daher so wechselhaft wie der Wind. Man konnte, je nach Gelegenheit, den Schatten des Windes aufsuchen oder sich von ihm vorwärts treiben lassen. In seinem
Weitere Kostenlose Bücher