Im Auge des Feuers
nicht mehr taufrisch. Die Teedose stand offen. Eira war verwundert. Das alles sah seinem Sohn nicht ähnlich. Niillas war im besten Sinne abgeklärt, zur pubertären Revolte fehlte ihm die Aggression.Er war ein langhaariger fast Achtzehnjähriger mit einer unermesslichen Begeisterung für Musik und einem entspannten Verhältnis zu den meisten Dingen. Gewöhnlich gab es keinen Ärger mit Niillas. Nach dem Essen stellte er sogar meistens die Lebensmittel in den Kühlschrank zurück.
Die Erkenntnis traf Eira wie eine Bombe. Der Junge musste verliebt sein.
Geistesabwesend schnitt er sich eine Scheibe Brot ab. Sann darüber nach, ob er sich in sein Schlafzimmer schleichen oder ins Wohnzimmer gehen und Hallo sagen sollte. In der Küche sitzen bleiben konnte er nicht, das wäre ihm merkwürdig und unhöflich vorgekommen. Das Haus war ohnehin das reinste Puppenhaus, und Versteckspiele waren darin gar nicht möglich.
Eira hatte sich noch nicht entschieden, als die Tür aufging und Niillas hereinkam. Unsicher blickte er zu seinem Vater und strich sich das ungewöhnlich zerzauste Haar glatt.
»Hast du Besuch?«
Niillas nickte und kehrte seinem Vater den Rücken zu.
»Jemand, den ich kenne?«
Niillas drehte sich wieder um. Sein Blick war kühl und säte Unruhe in Eira. »Du kannst Norwegisch sprechen. Sie sitzt im Wohnzimmer. Ich will nicht, dass sie denkt, wir würden über sie reden.« Er zischte die Worte in rasend schnellem Samisch durch seine zusammengebissenen Zähne.
Eira vergaß zu kauen. »Wovon redest du? Ich bin zu Hause, in meinem eigenen Haus. Wir beide sprechen immer Samisch miteinander.«
Niillas schlug die Augen nieder, wandte sich ab und zog jedes Wort bewusst in die Länge: »Bitte nicht, wenn sie hier ist.«
Eira legte die Brotscheibe langsam auf die Arbeitsplatte. Er atmete tief ein, um seinen galoppierenden Puls zu stabilisieren. Er kam nicht dazu, etwas zu sagen, weil eine Gestalt in der Tür auftauchte.Sein erster Gedanke war, dass sie etliche Jahre älter sein musste als Niillas. Zehn Jahre vielleicht. Der zweite war, dass sie auf eine interessante Art schön und so gekleidet war, dass jeder sie zweimal ansehen würde.
»Hallo.« Dass er sie anstarrte, schien sie völlig ungerührt zu lassen. »Mir war, als hätte ich Stimmen gehört. Ich dachte, wir wären allein.« Sie ging zu Niillas und legte den Arm um ihn. Dann sah sie freundlich zu Eira. »Du bist sicher sein Vater?« Ihr Arm glitt von Niillas’ Taille und Eira konnte nicht umhin zu bemerken, wie ihre Finger fast zufällig über Niillas’ Gesäß strichen. Dann streckte sie Eira die Hand entgegen. »Victoria.«
Eira betrachtete ihre Züge. Große, etwas zu stark geschminkte Augen in einem makellosen Gesicht. Der Mund glänzte von Lipgloss und die Nägel waren schwarz lackiert.
Eira wandte den Blick nicht von ihrem Gesicht. Hätte er ihn gesenkt, wäre er in ihrem Ausschnitt gelandet, der ihre Brüste nur lose umspielte. Noch weiter unten waren zwei nackte Füße mit schwarz lackierten Zehennägeln. Sie war barfuß in den Schuhen gewesen, dachte er erstaunt und schaute auf das Thermometer vor dem Fenster, das ein Grad minus anzeigte.
»Wir geh’n in mein Zimmer.« Niillas’ Gemurmel riss Eira aus seinen Gedanken.
»Ihr könnt gerne im Wohnzimmer sitzen, auch wenn ich zu Hause bin.«
Das glucksende Lachen des Mädchens brachte ihn fast zum Erröten. Er mochte sie ganz und gar nicht. Eira versuchte, sich selbst zu sagen, dass das daran liege, dass sie seinen Jungen stahl, denjenigen, der ihm am allernächsten stand und der der einzige Mensch war, den er als »sein« betrachtete. Aber das war es nicht. Er vertraute seiner Intuition, die ihn schon vor langer Zeit gelehrt hatte, hinter die Fassade zu blicken. Was er sah, missfiel ihm.Einige Minuten später hatte sich das durch die Wand zu hörende Gemurmel und Gelächter gelegt. Es war, als erwache Eira plötzlich. Er stand so abrupt auf, dass der Stuhl umkippte, ging ins Wohnzimmer und legte eine CD ein. Volle Lautstärke.
Dann richtete er sich am Wohnzimmertisch ein, suchte Drechseleisen, Schleifwerkzeug, Polierutensilien und alles zusammen, was er zur Fertigstellung des Messers brauchte. Seit geraumer Zeit arbeitete er bereits daran. Es hatte ein besonders kniffliges Muster auf dem Griff aus Knochen, das gleiche war auf der Scheide.
Eira war verwirrt. Welche Phase war da bei Niillas eingeläutet worden? Aber er wusste, dass das hier, was er jetzt in den Händen hielt, ihm
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