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Im Augenblick der Angst

Im Augenblick der Angst

Titel: Im Augenblick der Angst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcus Sarkey
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nicht.«
    »Wirst du es nochmal versuchen?«
    »Ich glaub nicht, dass wir uns das leisten können. Wir sind ziemlich knapp bei Kasse.«
    »Und was sagt Tom dazu?«
    »Der blockt einfach alles ab. Er will mir sogar erzählen, dass alles gut wird! Nach dem Motto, wenn man die Augen davor verschließt, geht es vielleicht von selbst weg, verstehst du?« Anna lag auf dem Bett, starrte in die Luft und spielte mit den Fransen der Tagesdecke. Wie schleichend sich das Leben veränderte, man bemerkte es kaum. Früher einmal hatte es eine Zeit gegeben, in der sie und Tom über alles redeten. »Wir hätten es wirklich nicht nochmal versuchen sollen.« Sie drehte einen Messingknopf zwischen Daumen und Zeigefinger. »Aber ich dachte irgendwie, ein Versuch noch, dann klappt es. Ich war mir sicher, diesmal ist es so weit.«
    Kurz herrschte Stille in der Leitung. »Ich könnte dir was leihen –«
    »Nein.« Annas Antwort kam wie aus der Pistole geschossen. »Danke, aber lieber nicht.«
    »Aber –«
    »Nein, meine Liebste.« Annas Schwester hatte einen ordentlichen Job als Cutterin bei einem Fernsehsender, aber ihr Gehaltszettel hätte Donald Trump nicht gerade von den Socken gerissen. Und ein Großteil davon ging für die Tagesbetreuung des Äffchens drauf – ein Baby allein großzuziehen, war nicht gerade billig.
    Ja, aber sie könnte wenigstens … Hör auf!
    »Soll ich vorbeikommen?«, fragte Sara.
    »Nein. Ich werde mich jetzt mit einer Flasche Wein ins Bad zurückziehen und mich gepflegt abschießen. Jetzt kann ich ja genauso gut einen trinken, was?« Sie hörte die Bitterkeit in ihrer Stimme und hasste sich dafür, für diese ganze Dramatik. »Hör mal, es ist schon okay. Wir finden einen Weg. Und wenn es wirklich sein soll, werden wir auch irgendwie ein Kind bekommen, oder?«
    Sara bemerkte den Fingerzeig und wechselte das Thema. »Bist du am Mittwoch immer noch dabei?«
    »Auf jeden Fall.«
    »Ich könnte auch einen Babysitter organisieren …«
    »Nein, nein. Du weißt doch, wie gerne ich mit Julian rumhänge.«
    »Bist du dir sicher?«
    »Und wie.« Anna bemühte sich, mit normaler Stimme zu sprechen statt durch zusammengebissene Zähne. »Es geht mir gut, Schwesterherz, ehrlich.« Sie atmete tief ein. »Ich muss jetzt. Mach dir keine Sorgen, okay?«
    »Hey, das ist nun mal mein Job. Und noch dazu kostenlos!«
    Anna zwang sich zu einem Lachen und verabschiedete sich. Legte auf und ließ das schnurlose Telefon neben sich aufs Bett fallen. Starrte an die Decke. Die Flügel des Ventilators waren von einem schwarzen Staubrand eingefasst. Dabei hatte sie doch erst vor kurzem drübergewischt. Immer schlich sich die Zeit von hinten an einen heran, selbst bei solch nebensächlichen Dingen.
    Tief in ihrer Kehle spürte sie Tränen aufsteigen und presste sich die Hände vor die Augen. Sie wollte jetzt nicht heulen. Ihre Brüste schmerzten, ihr Körper war aufgequollen, jeder Schluchzer würde höllisch wehtun. Davon abgesehen hatte sie doch schon so oft geweint.
    Also würden sie vielleicht kein Glück haben. Na und? Viele Leute hatten keine Kinder. Und lebten trotzdem ein erfülltes Leben. Sie und Tom könnten mehr Zeit miteinander verbringen – ein Abo fürs Steppenwolf Theatre, die Schulden abzahlen, Reisen in die weite Welt. Man konnte ja wirklich nicht behaupten, dass es der Erde an Kindern mangelte.
    Anna rollte sich auf die Seite, zog sich die Decke bis zum Kinn und weinte, so sachte sie konnte.
     
    Als der Feueralarm losging, saß Tom wieder mal in seiner »Höhle« und las, während Anna sich im Schlafzimmer eingeschlossen hatte. Zwei Welten im selben Haus, zwei separate Fluchtmöglichkeiten.
    Das Schrillen kam so plötzlich, dass er vor Schreck die Füße vom Tisch riss. Der Stuhl kippte nach vorne, Tom musste sich an der Tischkante festhalten, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren. Mittlerweile assoziierte er den Feueralarm am ehesten mit Kochen – Anna war eine hervorragende Köchin, aber die Belüftung war der letzte Dreck, und wann immer sie irgendetwas scharf anbriet, räucherte sie am Ende die ganze Küche aus. Und der Alarm schrillte.
    Heute Abend hatte es jedoch Dosenfutter von Campbell’s gegeben, in der Mikro erwärmt und getrennt verspeist. Neben dem Schälchen mit den erkalteten Überresten des Fleischeintopfs lag ein Roman, der Rücken war durchgedrückt, damit das Buch nicht ständig zufiel.
    Nach dem ersten Schrecken bemerkte Tom, dass das Geräusch anders klang als sonst, irgendwie gedämpft.

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