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Im Augenblick der Angst

Im Augenblick der Angst

Titel: Im Augenblick der Angst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcus Sarkey
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Als ob es durch die Wände käme, dachte er, und kurz darauf: die Wohnung unten! Dort, wo ihr Untermieter wohnte, war die Belüftung nämlich auch nicht besser als hier oben.
    Tom lehnte sich zurück und kniff sich mit Daumen und Zeigefinger in den Nasenrücken. Ob gedämpft oder nicht, das ewige Gekreische war nicht gerade ideal für seine Kopfschmerzen  – die hartnäckige Sorte, die sich hinter den Augäpfeln einnistete. Wenn er sie bewegte, hatte er jedes Mal das Gefühl, dass etwas an seinem Sehnerv zerrte – ein fremder, schwindelerregender Schmerz, der ihn zwang, die Augen zu schließen. Und wenn er sie schon wieder öffnen musste, dann am liebsten ganz woanders – irgendwo, wo es warm war, wo eine leichte Brise wehte und eine Hängematte zum Verweilen einlud. Dazu noch der Duft des Meeres … Manchmal sah er Anna neben sich, wie sie sich an ihn kuschelte, die frühere Anna und der frühere Tom, jung und frisch verliebt, bevor ihre Träume zur Belastung wurden.
    Und manchmal sah er sie auch nicht neben sich.
    Mit einem Seufzen trank Tom einen Schluck Bourbon und wandte sich wieder seinem Buch zu, einem Roman über amerikanische Auswanderer in Budapest. Sie waren auf der Suche nach sich selbst und nach ihrem Schicksal, sie waren jung und schön, so jung, Mitte zwanzig, dass es Tom das Herz brach – nicht etwa, weil er nicht glauben konnte, dass er selbst einmal so jung gewesen war, sondern weil er nicht glauben konnte, dass er es tatsächlich nicht mehr war. In seinem tiefsten, geheimsten Inneren, dort, wo er sein Selbst ansiedelte, war er selbst noch Mitte zwanzig, stand er noch immer direkt an der Kreuzung von Freiheit und Verantwortung, das eine Bein auf der einen, das andere auf der anderen Seite. Alt genug, um zu wissen, wer er war und was er wollte, aber jung genug, um niemandem etwas schuldig zu sein oder zweimal in der Nacht pinkeln zu müssen. Ein gutes Alter.
    Er beugte sich mit aufgestützten Ellbogen über das Buch und rieb sich die brennenden Augen. Mitte zwanzig … Washington D.C., das Apartment in Adams Morgan, im ersten Stock über einer Bar mit Grill. Damals hing er noch seinem Traum nach, eines Tages Schriftsteller zu werden; und abends, wenn der Hamburgergeruch durchs offene Fenster hereinwehte, saß er am Schreibtisch und tippte. Anna hatte ihre eigene Bleibe, aber meistens übernachtete sie bei ihm. Einmal schmissen sie eine Halloween-Party, zu der Anna als abstraktes Gemälde erschien, nackt bis auf einen hautfarbenen Bikini und Wirbel fluoreszierender Farbe auf dem ganzen Körper. Als sie an diesem Abend miteinander schliefen, hinterließ die Farbe bunte Blüten auf den Laken, und Anna lachte; sie warf den Kopf zurück und lachte dieses gute, echte Lachen, bevor sie die bemalten Arme um seinen Hals schlang und sich daran machte, die Farbe an ihn weiterzugeben.
    Tom nahm einen weiteren Schluck Bourbon.
    Ein vorsichtiges Klopfen an der Tür. »Ja«, rief Tom, und Anna trat ein. Sie trug einen Baumwollschlafanzug, Makeup hatte sie keines aufgelegt. Ihre Augen waren kreisrund und verquollen.
    »Hörst du das auch?«, fragte sie.
    Der Feueralarm war wirklich nicht zu überhören, aber Tom verbiss sich den besserwisserischen Kommentar und nickte. »Unten, glaube ich.«
    »Läuft jetzt schon ’ne ganze Weile.«
    »Ein, zwei Minuten vielleicht.« Noch als er die Worte aussprach, wurde ihm klar, dass es hier nicht um einen Wecker ging, den man einfach so ignorieren konnte. Tom stand auf. »Du hast Recht.« Als er an ihr vorbeiging, strich er leicht mit der Hand über ihre Hüfte.
    Ein schwaches Lächeln blitzte auf Annas Lippen auf. »Soll ich mitkommen?«
    »Ach was. Geh wieder ins Bett.« Er lief in die Küche, um die Schlüssel zur unteren Wohnung zu holen, die Holzdielen im Flur knarrten unter seinen Füßen. Damals, bei ihrer ersten Begegnung mit dem Haus, war es Liebe auf den ersten Blick gewesen: ein Ziegelbau mit zwei Wohnungen, fast hundert Jahre alt, am Lincoln Square ganz in der Nähe vom Fluss. Mitten in einem tollen, sicheren Viertel voller Familien. Noch dazu grenzte das Haus direkt an einen Park, in dem sie eines Tages mit ihren eigenen Kindern spielen konnten …
    Natürlich hatte das Haus Zweihunderttausend mehr gekostet, als sie eigentlich ausgeben wollten. Aber indem sie das untere Stockwerk vermieteten, konnten sie die Raten mehr oder weniger bestreiten. Mehr oder weniger: das Mantra des modernen Menschen. Tom schloss die Wohnungstür auf und ging zur Treppe. Man

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