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Im Augenblick der Angst

Im Augenblick der Angst

Titel: Im Augenblick der Angst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcus Sarkey
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verpfändet die Gegenwart, damit man sich die Zukunft leisten kann.
    Der Rauchgestank riss ihn aus seinen Gedanken. »Scheiße!« Tom sprang die Treppe in drei Sätzen hinunter und schrie über die Schulter nach Anna. Die Tür zum Vorraum klemmte, er musste heftig an ihr reißen, um sie aufzubekommen. Hinter sich hörte er Annas Schritte, doch er wartete nicht, sondern trat sofort in die kleine Diele. Ein dünnes, graues Rinnsal kroch unter der Tür zu Bill Samuelsons Wohnung hervor. Scheiße, scheiße, scheiße. Tom hämmerte gegen die Tür, kam sich jedoch sofort völlig bescheuert vor – als ob der Typ sein Klopfen hören würde, aber nicht den Feueralarm. Er fummelte mit den Schlüsseln herum, probierte erst den einen, dann den anderen, und versuchte gleichzeitig, sich an sein gesammeltes Wissen über solche Fälle zu erinnern. Zuerst die Tür anfassen, dachte er, um zu überprüfen, ob die Flammen schon auf der anderen Seite sind, damit man ihnen nicht noch Sauerstoff zuführt. Doch das Holz war kalt. Er spürte, dass Anna hinter ihm angekommen war.
    Tom drehte den Türknopf und spähte durch den Spalt. Rauchschwaden füllten das erste Zimmer, wie nach einem Rockkonzert. Der Alarm schrillte panisch vor sich hin. »Hallo!?« Flammen konnte Tom keine sehen, also drückte er die Tür ganz auf und ging hinein. Das Zimmer war spartanisch ausgestattet, ein abgenutzter Sessel und ein großer Fernseher auf einem Hi-Fi-Möbel aus Pressspan bildeten die ganze Einrichtung. Eine Korona wabernden Lichts umgab die einzige Lampe.
    Bei diesem Anblick fiel Tom wieder ein, dass er in eine fremde Wohnung eindrang, doch er schob den Gedanken beiseite. Das hier war sein Haus, sein Eigentum. Drei schnelle Schritte später hatte er den Flur durchquert, während der Rauch immer dicker und dunkler wurde. Er zog sich das Hemd über Mund und Nase, sog heiße Luft durch den Stoff ein.
    Die Küchenlampen bohrten schimmernde Lichttunnel in die Rauchwolken. Tom spürte die Hitze, bevor er das Feuer sah, ein primitiver Instinkt, der seine Furcht steigerte, je näher er dem Herd kam, wo gelb-grüne Zacken tanzten. Die Flammen umschlossen einen schwarz angelaufenen Teekessel und hüllten ihn in ein flackerndes Licht. Für den Bruchteil einer Sekunde dachte Tom, dass der Kessel selbst brannte, bevor ihm klarwurde, dass die Flammen aus den Gasdüsen kommen mussten. Er machte einen Satz nach vorne und drehte hektisch an dem Knopf, um das Gas abzustellen. Eine Welle aus Hitze rollte über ihn hinweg, aber sonst passierte nichts – und er begriff, dass das Gas nichts damit zu tun hatte, dass die Flammen neben und unter dem Metallring hervorschossen. Das verspritzte Fett von Monaten hatte Feuer gefangen und verströmte nun süßen, dunklen Rauch. Die Mauer hinter dem Herd war bereits tiefschwarz vom Ruß.
    »Scheiße!«, schrie Anna in seinem Rücken. »Ist hier irgendwo ein Feuerlöscher?«
    Tom öffnete die Schranktüren unter der Spüle. Hier unten war die Luft besser, aber er fand nur Putzmittel, ein paar halbleere Schnapsflaschen, sonst nichts. Verzweifelt stand er wieder auf, blickte sich um. Da, neben einer Dose koffeinfreien Instantkaffees stand ein großer Becher! Er konnte ihn mit Wasser füllen und … Halt, noch besser: die Brause an der Spüle! Sofort war Tom vorm Waschbecken, drehte das Wasser auf, griff nach der Brause …
    »Nein!« Anna musste brüllen, um den Alarm zu übertönen. »Das Fett!«
    Fett, Fett, Fett … Fett und Feuer … Stimmt! Wasser würde das Feuer nur in alle Richtungen verstreuen, Tropfen brennenden Öls in der ganzen Küche verspritzen. Wie zum Teufel löschte man brennendes Fett?
    Anna beantwortete die Frage für ihn. Sie schob ihn zur Seite und riss die Türen der oberen Schränke auf: Dosensuppen, Nudeln, eine Schachtel Schokokekse, Tee und Kaffee, Gewürze, auf denen noch das Preisschild klebte. Und ein Zehn-Pfund-Paket Mehl, weißes Papier mit blauen Buchstaben darauf, oben eingerollt und mit einem Gummiband verschnürt. Anna griff danach, ein paar Glasflaschen krachten unbeachtet auf die Anrichte. Mittlerweile hatte sich das Feuer auf eine zweite Platte ausgebreitet. Sie zog das Gummiband ab, faltete das Paket auf, lehnte sich so nah wie möglich ans Feuer – und kippte das Mehl aus, schleuderte es aus der Tüte wie Wasser aus einem Eimer. Eine Staublawine ging auf dem Herd, auf Wand und Küchentheke nieder. Die Flammen zischten, als das erste Mehl sie traf, bevor sie mit einem mächtigen

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