Im Bann der Gefuehle
das Foyer der Suite durchquerte.
Plötzlich stellte Alessandro fest, wie heftig sich seine Schultern verkrampften. Seit wann regte er sich so schnell auf und fühlte sich unsicher? Selbst als die Ärzte sich kopfschüttelnd seine Krankenakte vorgenommen hatten, war er nicht nervös geworden oder hatte sich gar seine Furcht anmerken lassen. Das Einzige, was ihn damals interessierte, war die baldige Entlassung aus dem Krankenhaus und eine möglichst kurze Rehabilitationsphase.
Die Geier kreisten schon über dem Familienunternehmen und warteten nur darauf, einen Vorteil aus den Fehlern zu schlagen, die Alessandros Vater vor seinem Ableben gemacht hatte.
„Miss Wells, Sir“, kündigte der Butler an und verließ lautlos den Raum.
Carys blieb in der Tür stehen, und wieder überfielen Alessandro unterschiedlichste Gefühle, die ihn mehr als verwunderten. Unruhig wippte er auf den Fersen, während sie sich schweigend in die Augen sahen.
Die junge Frau wirkte in einem von Melbournes exklusivsten Hotelzimmern völlig fehl am Platze. Weder ihre Kleider noch ihre Haltung oder ihr Stil passten zu dem opulenten Luxus um sie herum. Carys wirkte zu einhundert Prozent wie die Angestellte, die sie war.
Ironisch dachte Alessandro daran, was für Dienste er gern von ihr in Anspruch nehmen würde, verwarf diesen unangemessenen Gedanken jedoch sogleich wieder. Was war nur los mit ihm? Er war doch sonst nicht so leicht aus der Fassung zu bringen.
Außerdem waren ihm jede Menge anderer Frauen bekannt, die wesentlich aufsehenerregender waren. Kluge Schönheiten, die wirtschaftliche Leistungen mit einem eleganten Stil und der Entschlossenheit verbanden, sich einen Weg in Alessandros Bett zu bahnen. Die perfekte Mischung also, und dennoch machte irgendetwas an Carys sie zu einem ganz besonderen Menschen.
Sie hatte eine attraktive kurvenreiche Figur, die eine diätfreudige Mailänderin wohl in einen zweiwöchigen Hungerstreik getrieben hätte. Die dunklen Haare trug sie zu einem schlichten Zopf gebunden – ohne jegliche Finesse. Ihr Make-up war unauffällig und das marineblaue Kostüm fast erdrückend konservativ.
Aber ihr Gesicht verfügte über eine ungemein anziehende Ausstrahlung, und diese Beine … Sie waren perfekt geformt, und Alessandros Hände zuckten, als er sich vorstellte, wie er die seidige Strumpfhose über die schlanken Schenkel und Fesseln hinabrollte.
Instinkt oder Erinnerung? Zu spät riss er seinen Blick von der Frau los, die ihn um die halbe Welt gelockt hatte. So oder so musste er für Klarheit zwischen ihnen sorgen.
„Danke, Robson“, rief er, als er den Butler im Foyer hörte. „Das wäre alles für heute.“
Der ältere Mann verbeugte sich höflich. „Auf der Anrichte stehen ein paar Erfrischungen für Sie, Sir, Madam.“ Dann begab er sich unauffällig zum Personalausgang und verschwand.
„Bitte.“ Mit einer Hand wies Alessandro zur Lounge. „Nimm Platz!“
Zuerst sah es so aus, als würde Carys ablehnen. Schließlich ging sie doch mit zaghaften Schritten über den antiken Teppich und setzte sich in einen bequemen Sessel. Das weiche Licht einer Stehlampe verlieh ihrer Haut einen schmeichelnden Schimmer, brachte allerdings auch die Anspannung um ihren Mund herum deutlich zum Vorschein. Sie sah furchtbar müde aus.
Er warf einen kurzen Blick auf seine Uhr. Zugegeben, es war ziemlich spät, und er selbst hatte sich längst daran gewöhnt, mit Hilfe von starkem Kaffee und Entschlossenheit unzählige Überstunden zu machen.
Sein Schuldbewusstsein meldete sich. Eigentlich hätte Alessandro mit seinem Anliegen auch bis zum nächsten Tag warten können, aber es war ihm einfach nicht gelungen, seinen Frust länger zu ignorieren. Jetzt war er der Wahrheit so nahe und wollte nicht länger auf Antworten warten.
Vor wenigen Stunden war Alessandros Geduld schon einmal auf die Probe gestellt worden, als er Carys im Ballsaal plötzlich ganz nahe gewesen war. Allerdings hatte er erschreckenderweise die Kontrolle über sich verloren und sich nur wie hypnotisiert an ihr festgeklammert. So etwas durfte keinesfalls noch einmal passieren. Noch nie im Leben hatte Alessandro sich so verloren und hilflos gefühlt. Eine Empfindung, an die er sich nicht gewöhnen wollte.
Inzwischen war er wieder ganz er selbst, und so sollte es auch gefälligst bleiben!
„Tee? Kaffee?“, bot er an. „Oder lieber ein Glas Wein?“
„Danke, ich möchte nichts.“ Kerzengerade aufgerichtet saß Carys da und wartete ab. Stumme
Weitere Kostenlose Bücher