Im Bann der Gefuehle
nahm er ihren Einwand nicht allzu ernst. „Ich wohne in der Präsidentensuite und erwarte dich in zehn Minuten.“
Sie schnappte nach Luft. „Du bist nicht in der Position, mir Befehle zu erteilen“, widersprach sie kühl.
„Auch wenn du mich nicht sehen willst“, entgegnete er ruhig, „habe ich mit dir zu reden. Also, in zehn Minuten!“
„Und wenn ich nicht komme?“
Es dauerte eine Weile, bis er antwortete. „Das ist allein deine Wahl, Signorina Wells.“ Sein Ton verhieß nichts Gutes. „Ich möchte ein paar persönliche Dinge klären und würde dies gern in der privaten Abgeschiedenheit meiner Suite tun. Wenn es dir allerdings lieber ist, einen Termin während deiner Arbeitszeit zu vereinbaren, soll mir das auch recht sein. Ich gehe davon aus, du teilst dir ein Büro mit deinen Kollegen?“
Die versteckte Drohung in seinen Worten verunsicherte Carys ziemlich. Es schien, als würde sie ihm ohnehin nicht ausweichen können.
„Dein Vorgesetzter gibt dir bestimmt frei, um eine Privatangelegenheit zu besprechen. Obwohl, soweit ich informiert bin, befindest du dich ja noch in der Probezeit?“
Ein bitterer Geschmack breitete sich auf ihrer Zunge aus. Woher hatte er Einblick in diese personalinternen Details bekommen? Alessandro würde doch wohl kaum ihren Karriereweg verfolgt haben? Wusste er etwa auch schon über Leo Bescheid?
Erst jetzt wurde Carys klar, dass nackte Angst ihr die Luft abschnürte.
„Dann also in zehn Minuten“, sagte sie heiser und legte auf.
Mit einem Zug leerte Alessandro den heißen Espresso, den sein Butler ihm zubereitet hatte. Mit jeder Faser seines Körpers fühlte er noch, wie Carys sich gegen ihn presste. Er hatte es schon gewusst, als er sie quer durch den Raum erblickte: Diese Frau gehörte ihm.
Obwohl sein früherer Flashback ihm doch die Gewissheit verschafft hatte, dass sie sich nicht im Guten getrennt haben konnten. Als erste Frau in seinem Leben war Carys einfach fortgegangen, ohne auch nur einen Blick zurückzuwerfen.
Trotzdem fühlte Alessandro, dass zwischen ihnen noch nicht alles vorbei war. Das erklärte auch seine ständige Unruhe seit dem Unfall, so als gäbe es da etwas Unerledigtes in seinem Leben. Warum hatten sie sich überhaupt voneinander getrennt? Was genau war geschehen?
All das würde er herausfinden, und vorher gab es für Carys kein Entkommen. Alessandro musste die Stimmen in seinem Innern zum Schweigen bringen und sich darüber klar werden, was er für diese Frau empfand. Seine Emotionen befanden sich in hellem Aufruhr, als sie dicht aneinandergedrängt im Ballsaal standen, und die Intensität seiner zum Teil widersprüchlichen Gefühle hatte Alessandro überrascht und gleichzeitig erschreckt. Neugier, Zusammengehörigkeit, eine Art Beschützerinstinkt und sogar Eifersucht.
Für seine Rekonvaleszenz hatte Alessandro all seine Willenskraft aufbringen müssen. Da war kein Platz mehr für persönliche Gefühle gewesen, nur der dringende Wunsch, das Familienunternehmen vor dem Untergang zu bewahren. Alles andere war ausgeblendet worden.
Bis jetzt war es niemandem gelungen, diesen Selbstschutz auch nur ansatzweise anzukratzen. Weder seiner Stiefmutter noch all den Frauen, die sich verzweifelt um seine Aufmerksamkeit bemühten. Auch nicht seinen engeren Freunden.
Trotz seiner vielen, weltweiten Kontakte war Alessandro ein Einzelgänger, genau wie sein Vater. Der alte Mann hatte sehr zurückgezogen gelebt und sich nach dem Betrug und der Trennung von seiner ersten Frau voll und ganz auf seine Firma konzentriert.
Aus diesem Grund hatte Alessandro von klein auf gelernt, dass man in seiner Familie Trauer, Verwirrung und Angst hinter einer steinernen Fassade verbarg. Und im Laufe der Jahre war aus dieser etwas mühsam aufgebauten Fassade eine selbstverständliche Realität geworden. Alessandro konnte seine Gefühle perfekt verdrängen und sich von seiner eigenen Verletzbarkeit distanzieren.
Jedenfalls bis zum heutigen Abend, bevor er Carys Wells von Angesicht zu Angesicht gegenüberstand. Er fühlte Dinge, die ihm unbekannt waren: Sehnsucht, Verlangen, Verlust.
Und Begehren! Dieses körperliche Gefühl war ihm allerdings ziemlich vertraut. Nur jetzt überfiel es ihn in Verbindung mit einem heftigen Ziehen in der Magengegend, und das war neu. Intensiver und viel komplexer als alles, woran er sich erinnern konnte …
Endlich klopfte es an seine Tür. Dankbar für diese Ablenkung stellte er seine Tasse ab und wandte sich um, während sein Butler
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