Im Bann der Leidenschaften
kann, und entziehe mich der verheißungsvollen Umarmung. Meine Zurückweisung tut mir selbst leid, denn unter seinen Händen kitzelt es auf meiner Haut, aber ich muss wirklich los.
„Ciao“, hauche ich und schlüpfe zur Wohnungstür hinaus.
„Ich fahre in zwanzig Minuten los. Sonst verpasse ich den Flieger“, seufzt er hinter mir. „Mach keine Dummheiten! Ich liebe dich!“ Trotz der warmen Worte setzt er seinen Dackelblick auf. Oh, er weiß ganz genau, was er tut. Doch nicht mit mir, nicht jetzt. Ich fasse ihm schnell in den Schritt und drücke kurz und gemein zu. Dann bin ich wirklich weg. Seine Du-bist-gemein-Rufe überhöre ich gnadenlos, was mir allerdings alles andere als leicht fällt. Aber das, was vor mir liegt, ist im Moment genauso verlockend wie ein Schäferstündchen mit meinem Bräutigam.
Mit einem Lächeln auf den Lippen laufe ich die fünf Etagen bis ins Erdgeschoss hinunter. Meine hohen Absätze klackern wie eine alte mechanische Schreibmaschine. Es gibt einen Aufzug im Haus, aber auf den kann ich gut verzichten. Vielleicht specke ich bis zur Hochzeit noch ein Kilo ab. Fünf sind schon weg. Und alles nur wegen dieser dreihundertzwanzig Stufen. Na ja, nicht ganz. Die Wege bis zur Metro sind ebenfalls recht happig. Und dann ist da ja noch der zuckersüße Sex mit Philippe.
Der Himmel hängt heute voller hellgrauer Wolken, doch die Luft riecht trocken. Ich eile die Avenue Octave Gréard hinunter, vorbei an unserem kleinen Stammcafé, wo wir fast jeden Nachmittag Café au Lait trinken und dazu eines dieser göttlichen Himbeertörtchen essen, wie sie nur die Franzosen zubereiten. Mit Himbeeren und Vanillepudding auf einem zart-knusprigen Butterteig, der mit einer dicken Schicht aus süßer Schokolade bestrichen ist. Olivier, der nette Kellner mit der Glatze, winkt mir zu, ich grüße nur knapp zurück. Meine Freundinnen warten. Sie müssen vollkommen kaputt sein von der weiten Reise. Am frühen Morgen sind sie in Philadelphia abgeflogen, wofür sie um drei Uhr morgens aufstehen mussten. Im Dauerlauf passiere ich das Fußballstadion Emile Anthoine, nehme die Abkürzung durch den Garten des Grand Hotels Sept Roses, wo zwei der Gärtner mit ihren Rechen das erste Oktoberlaub vom Rasen kehren. Wenige Minuten später erreiche ich Bir-Hakeim.
Meine drei Freundinnen stehen bereits am Fuß der überirdischen Metro-Station. Die kugelrunde Jane mit ihrem kinnlangen Bobhaarschnitt, den sie seit der Einschulung trägt, die kleine, zierliche Mary-Beth mit dem geflochtenen Zopf, der ihr bis zum Po reicht, und die kurzhaarige Mel, die Grundschullehrerin, die mit ihrer Nickelbrille gütig und streng zugleich in die Welt blickt. In ihren praktischen Baumwolljacken, den bequemen, flachen Tretern und den ewigen Jeans stehen sie neben ihren Rollkoffern und winken mir zu, als gälte es, einen Wettbewerb im Armwedeln zu gewinnen.
Ich fühle, wie mir bereits beim Anblick meiner Freundinnen die Tränen über die Wangen rinnen.
„Annie !“ Jane fällt mir als erste um den Hals. Ihre weichen Haare kitzeln in meinem Gesicht. „Gibt es in Paris nichts zu essen? Du bist so mager geworden! Gut, dass ich dir Marshmallows mitgebracht habe! Zwei Pakete. Von den ganz dicken.“
Unter all den Tränen muss ich lachen. Die gute Jane! Importiert Marshmallows – und nennt mich mager! Ich drücke Janes Hand in das weiche Kissen an meinem Bauch, als Mary-Beth und Mel ebenfalls ihre Arme um mich schlingen. Erst in diesen Minuten bemerke ich, wie sehr ich die Drei vermisst habe, und presse sie so fest an mich, als sähen wir uns seit Jahren zum ersten Mal. Dabei sind es gerade zwei Monate her, dass ich Cherry Hill verlassen habe, um zu meiner großen Liebe nach Paris zu ziehen.
„Ich habe euch so vermisst“, schluchze ich. „Ich mag gar nicht daran denken, dass ihr in vier Tagen schon wieder abreist!“
Meine Freundinnen sehen mich irritiert an. So viele Tränen und Gefühle sind sie von mir nicht gewohnt. Als Jack mich verließ, habe ich nicht geweint. Da war ich wütend.
„Jetzt sind wir ja erst mal hier“, Jane wischt sich mit der flachen Hand die Tränen aus dem Gesicht . „Ich sage dir, wir werden den großartigsten und lustigsten Junggesellinnenabschied feiern, den die Welt je gesehen hat! Mach dich auf was gefasst!“
Mary-Beth drückt mir zig Küsse ins Gesicht. Dann tritt sie einen Schritt zurück. „Gott, siehst du gut aus!“, schluchzt sie unter beifälligem Nicken von Jane und Mel. „Du hast dich
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