Im Bann des blauen Feuers
fort, so weit der Strahl der Taschenlampe reichte. Fragend schaute sie Ash an. „Und jetzt? Wohin?“
„Dort entlang“, sagte er und wandte sich nach Osten.
Céleste folgte ihm, begleitet von dem mehr als unguten Gefühl, irgendetwas übersehen zu haben. Sie waren bereits seit einer ganzen Weile unterwegs, als ihr klar wurde, woher es rührte.
„Findest du es nicht merkwürdig, dass die Tunnel nicht bewacht werden?“, raunte sie Ash zu. „Warum ist hier niemand? Ich meine …“
„Schhht!“ Er legte den Zeigefinger an die Lippen. „Still jetzt! Wir sind gleich da.“
Und tatsächlich – kurz darauf bemerkte Céleste Feuerschein am Ende des Ganges, durch den sie liefen. Sie wappnete sich innerlich. Jeden Moment konnte es passieren, dass sie angegriffen wurden. Auch wenn sich im Augenblick nur einige wenige Schergen der Finsternis an diesem Ort aufhalten mochten – früher oder später würde es zu einer Konfrontation kommen. Bei dem Gedanken daran glaubte sie schon wieder, das Pulsieren ihrer dunklen Seite tief in sich drin zu spüren. Das Ungeheuer in ihr zerrte an seinen Ketten und drängte darauf, endlich entfesselt zu werden. Und obwohl sie wusste, dass Ash und sie nur mit seiner Hilfe eine Chance hatten, sich gegen ihre Gegner zu behaupten, fürchtete sie sich doch davor, ihm die Kontrolle zu überlassen.
Doch nichts geschah.
Und dann erreichten sie das Ende des Tunnels, und Céleste stockte vor Staunen der Atem. Mit allem hatte sie gerechnet, aber ganz sicher nicht damit, dass sie – mehrere Meter unter den Straßen von Paris – einen Ballsaal vorfinden würde, der selbst dem von Schloss Versailles in nichts nachstand. Wenn ein großer Teil der einstigen Pracht auch dem Zahn der Zeit anheimgefallen war.
Zwei riesige Kronleuchter, in die man Pechfackeln gesteckt hatte, hingen von der kunstvoll gestalteten Kassettendecke. Ein dritter lag zerschmettert auf dem Boden. Dort, wo er aufgeschlagen war, hatte er den kostbaren Marmorboden zerstört. Splitter und versprengte Teile des Leuchters lagen überall verstreut.
Die Wände waren mit Seidentapeten bespannt, deren ursprüngliches Muster man aufgrund von Stockflecken und Ruß kaum noch erkennen konnte. In Metallhalterungen steckten in regelmäßigen Abständen weitere Pechfackeln, die den Raum in einen unstetigen, flackernden Schein tauchten.
Am anderen Ende des Saals schließlich führten zwei Stufen hinauf auf eine Estrade, auf der unter einem Baldachin aus von Mäusen zerfressenem Samt ein hölzerner Thron stand. Und auf diesem saß, gefesselt und geknebelt – „Lucien!“
Céleste begann zu laufen.
Sie war etwa auf halber Höhe des Saals, als eine Horde grauenvoll anzusehende Kreaturen hinter dem Thron hervortraten. Mit einem erstickten Aufschrei prallte sie zurück.
Es waren so viele. Viel mehr, als sie in ihren schlimmsten Albträumen befürchtet hatte. Und sie waren überall !
Verzweifelt klammerte sie sich an Ash, der direkt hinter ihr zum Stehen gekommen war. Das Ungeheuer in ihr wurde stärker. Sie konnte es förmlich fühlen. Das Blut rauschte ihr in den Ohren. Ihr Herzschlag klang wie das Hämmern von Buschtrommeln.
Und dann hörte sie die Stimme hinter sich.
Sie musste sich nicht einmal umdrehen, um zu erkennen, zu wem sie gehörte.
„Schön, dass ihr es einrichten konntet, zu unserer kleinen Überraschungsparty anlässlich Célestes einundzwanzigstem Geburtstag zu kommen“, sagte Philippe. „Wusste ich doch, dass ich mich auf dich verlassen kann, Ashael.“
Entsetzt blickte Céleste Ash an, der kreidebleich geworden war. „Philippe?“, keuchte sie erschüttert. „Sag, dass das nicht wahr ist …“
10. KAPITEL
„Danke, dass du sie hergeführt hast“, sagte Philippe. „Du hast unserer Sache damit einen unschätzbaren Dienst erwiesen.“ Er wandte sich Céleste zu. „Herzlich willkommen zu deiner Party, meine Liebe. Mein richtiger Name ist übrigens Gargon.“
War es nur der flackernde Fackelschein, der seine Züge unmenschlich, ja beinahe diabolisch wirken ließ? Céleste wusste es nicht – doch sie fragte sich unwillkürlich, wie sie jemals für ihn hatte schwärmen können.
Und Ash?
Zu ihrer eigenen Überraschung traf sein Verrat sie sehr viel tiefer als die Erkenntnis, wie sehr sie sich in Philippe/Gargon getäuscht hatte. Aber wunderte sie das wirklich? Spätestens seit jenem verhängnisvollen Kuss in der Métro-Station konnte sie nicht mehr leugnen, dass sie mehr für ihn empfand. Doch
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