Im Bann des blauen Feuers
dass ihm etwas passierte. Auch wenn sie ihre Meinungsverschiedenheiten gehabt haben mochten – er war nun einmal Teil ihrer Familie; jetzt noch mehr denn je. Und deshalb gab es für sie nur eine einzige Möglichkeit.
„Okay“, sagte sie. „Wir werden eine Lösung für dieses Problem finden – später. Jetzt müssen wir uns erst einmal um Lucien kümmern. Aber wie?“ Ratlos blickte sie zwischen Ash und ihrer Tante hin und her. „Irgendwelche Vorschläge?“
„Auf jeden Fall nicht, indem wir geradewegs in die Höhle des Löwen marschieren“, erwiderte Ash und deutete auf den Brief. „Wir müssen damit rechnen, dass uns am genannten Treffpunkt eine Falle erwartet. Wenn ich eines mit Sicherheit über die andere Seite sagen kann, dann, dass sie niemals mit fairen Mitteln vorgeht. Ganz gleich, was ein Dämon dir auch verspricht, du darfst ihm niemals glauben. Es liegt in seiner Natur, zu lügen und zu betrügen. Wenn man das stets im Hinterkopf behält, hat man eine Chance, ihn zu überrumpeln. Wir müssen uns also etwas einfallen lassen, mit dem sie nicht rechnen.“
Céleste runzelte die Stirn. „Zum Beispiel?“
Er schien kurz darüber nachzudenken, dann nickte er. „Ich denke, ich kann herausfinden, wo der Junge gefangen gehalten wird“, erklärte er. „Wir sollten es direkt dort versuchen – und zwar, wenn alle Augen auf den vereinbarten Treffpunkt blicken.“
„Wie willst du das anstellen?“, fragte Céleste überrascht. „Ich meine, ihr Unterschlupf wird ja wohl kaum ausgeschildert sein. Was hast du vor?“
„Lass das mal meine Sorge sein“, entgegnete er ausweichend. „Ich habe da noch ein paar alte Kontakte …“
Irgendetwas in Ashs Blick ließ Céleste daran zweifeln, dass er ihr die ganze Wahrheit sagte. Doch was blieb ihr anderes übrig, als ihm zu vertrauen? Wenn nicht ihm – wem dann?
Es war bereits fast dunkel, als Ash endlose Stunden später, gegen halb zehn, zurückkehrte, um sie abzuholen. Er hatte befunden, dass sie im Haus von Onkel Jacques’ Bruder – Céleste konnte sich einfach nicht dazu durchringen, ihn als ihren Vater zu betrachten – nicht sicher genug waren. Daher hatte er sie in seine Wohnung gebracht.
Céleste wusste nicht, was sie erwartet hatte – eine riesige Penthousewohnung in einem der höchsten Hochhäuser von La Défense ganz sicher nicht. Der Luxus, in dem Ash lebte, war einfach atemberaubend. Und wäre die Situation eine andere gewesen, so hätte sie es sicher genossen, ein paar ungestörte Stunden in einer Umgebung wie dieser zu verbringen. Doch angesichts der Ungewissheit, was die nächsten Stunden bringen würden, konnte sie es einfach nicht. Dazu ging ihr einfach zu viel im Kopf herum. Während Tante Marie ein wenig verloren auf der riesigen Couchlandschaft hockte und dumpf vor sich hin brütete, starrte Céleste selbst zum Fenster hinaus.
Sie hatte Angst.
Große Angst!
Ihr ganzes Leben lang war sie von diesem seltsamen Gefühl begleitet worden, dass sie anders war als alle anderen. Doch sie hätte nie auch nur zu träumen gewagt, dass sie jemals in eine so seltsame Geschichte hineingeraten würde wie diese hier.
Sie sah Ash in der reflektierenden Fensterscheibe und drehte sich um. Er hatte beim Betreten der Wohnung nicht das kleinste Geräusch verursacht. So langsam fing sie an, sich daran zu gewöhnen.
„Wir sollten aufbrechen“, sagte er.
Tante Marie, die ihn noch nicht bemerkt hatte, schrak zusammen. Hastig sprang sie auf. „Haben Sie ihn gefunden?“, fragte sie verzweifelt. „Geht es meinem Jungen gut?“
Ash legte ihr beruhigend die Hand auf die Schulter. „Es wird alles gut werden“, sagte er. „Céleste und ich müssen jetzt gehen. Bitte warten Sie hier auf uns. Wir kommen zurück, sobald wir Ihren Sohn befreit haben.“
Zuerst schien sie protestieren zu wollen, aber dann nickte sie zustimmend.
Ash wandte sich Céleste zu. „Bist du so weit?“
Um ein Haar hätte sie hysterisch aufgelacht. Sie konnte sich nicht vorstellen, dass sie dafür jemals wirklich bereit sein würde.
„Du weißt also, wo Lucien gefangen gehalten wird?“ Forschend musterte sie ihn. „Wie hast du das gemacht? Sag mir die Wahrheit. Du hast doch hoffentlich einen Plan, oder?“
Er zögerte kurz, dann sah er ihr unverwandt in die Augen. „Céleste, vertraust du mir?“
Sie horchte tief in sich hinein. Zu ihrer eigenen Überraschung stellte sie fest, dass die Antwort Ja lautete. Sie vertraute ihm. Nein, mehr als das. Spätestens seit
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