Im Bann des Daemons
es nicht mehr weglegen. Emma nahm es mit nach Hause. Sie war erst acht und dennoch nutzte das Mädchen jede freie Minute, um darin zu lesen. Als sie deswegen die Schule schwänzte, nahm ihr Vater ihr schließlich das Buch weg. Doch es half nichts. Emma war von dem Buch wie besessen. Sie dachte an nichts anderes mehr als daran, wie sie es zurückbekommen könnte. Sie flehte und feilschte mit ihrem Vater um gute Noten und Hausarbeit, doch er blieb hart. Schließlich, in der siebten Nacht, nachdem sie es auf der Baustelle gefunden hatte, schlich sich Emma in das Arbeitszimmer ihres Vaters und holte sich das Buch. Am nächsten Morgen war sie spurlos verschwunden.
Jill spürte, wie ihr das Herz vor Aufregung in der Brust hämmerte, sie musste einfach erfahren, was mit dem Kind geschehen war, doch ihre Augen fielen zu. Schweren Herzens klappte sie die Lektüre zu und ging völlig erschöpft ins Bett.
Den ganzen folgenden Tag kreisten Jills Gedanken immer wieder um das geheimnisvolle Buch. Anstatt aufmerksam ihrem Seminar zur germanischen Sagenwelt zu folgen, dachte die junge Frau darüber nach, wieso dieses Werk ohne Titel eine so tiefe Wirkung auf sie hatte. Sie war sich sicher, dass es die beste Geschichte war, die sie seit Jahren gelesen hatte, doch den Grund dafür konnte sie einfach nicht benennen.
Als sie am Abend ihre Wohnung betrat, schob sie sich schnell ein Fertiggericht in die Mikrowelle und nahm sofort das Buch zur Hand. Während sie das geschmacklose Essen mechanisch in sich hineinschaufelte, konnte sie ihre Augen nicht von den fein gedruckten Buchstaben lassen.
Am Morgen nach Emmas Verschwinden fand ihr Vater das aufgeschlagene Buch auf ihrem Bett liegen. Automatisch las er ein paar Zeilen daraus, dann riss er sich los, um nach seiner Tochter zu suchen. In den nächsten Tagen setzte er alles daran, Emma zu finden. Erfolglos. In den wenigen Ruhepausen, die er sich gönnte, las er in dem Buch, das sie zurückgelassen hatte. Und auch auf ihn übte die Geschichte eine lockende Wirkung aus. Umso stärker, als dass er beim Lesen das Gefühl hatte, seiner kleinen Tochter nahe zu sein. Doch eine Woche nach Emma verschwand auch er plötzlich und spurlos.
Jill schauderte und sah sich unsicher um. Doch dann schüttelte sie entschieden den Kopf. Es war nur eine Geschichte in einem Buch. Schnell las sie weiter, sie musste einfach erfahren, was mit Emma und ihrem Vater geschehen war.
Danach lag das verfluchte Buch über sechzig Jahre lang in Bücherkisten und Regalen versteckt, bis es schließlich eine junge Frau namens Jill auf einem Flohmarkt erwarb.
Mit einem Angstschrei klappte Jill das Buch zu und schleuderte es von sich fort. Es segelte durch die Luft und landete an der Sofalehne. Zitternd schlug Jill die Arme um sich und zog ihre Knie an. Entgeistert starrte sie das Buch an.
Die Monsterfratze auf dem Cover starrte zurück.
Und plötzlich kam es der jungen Frau vor, als würde die alptraumhafte Gestalt die Zähne blecken. Völlig verschreckt beugte Jill sich ein wenig vor, bekam den Zipfel eines Sofakissens zu fassen und warf es auf das Buch. Sobald sie die Fratze nicht mehr sehen konnte, fühlte sie sich etwas besser. Dennoch ließ das Gefühl drohenden Unheils sie einfach nicht los.
Die junge Frau erhob sich langsam, als befürchtete sie, das Buch könnte unter dem Kissen hervorkommen und sich auf sie stürzen. Dann schlich sie sich an dem Sofa vorbei zur Küche. Mit einem heißen Kakao in der Hand setzte sie sich auf die Küchenplatte und überlegte. „Das ist doch albern!“, sagte sie laut und nahm einen weiteren Schluck aus ihrer Tasse. Zum Glück verfehlte das Getränk auch dieses Mal nicht seine beruhigende Wirkung. Sie spürte, wie ihre verkrampften Muskeln sich ein wenig entspannten.
Der Name war bestimmt nur ein Zufall, versuchte Jill sich einzureden. Das, oder einer ihrer Kommilitonen hatte ihr einen Streich gespielt. Kein Wunder, dass auf dem Einband kein Autor und kein Verlag gestanden hatten, das Buch war bestimmt nicht echt. Jemand mit einem seltsamen Sinn für Humor hatte ihr nur einen Schrecken einjagen wollen. Doch den Gefallen würde sie dem unbekannten Scherzkeks nicht tun. Sie würde ihrer Angst nicht nachgeben. Und ganz bestimmt würde sie das Buch nur wieder in die Hand nehmen, um es in den Müll zu werfen.
Mit diesem Entschluss ging Jill schließlich ins Bett. Aber der Schlaf wollte einfach nicht über sie kommen. Sie wälzte sich ruhelos herum, und wenn
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