Im Bann des Daemons
du dich nicht hin und erzählst mir die ganze Geschichte?“, schlug Dr. Blum vor. „Und ich schaue mal, ob ich dir helfen kann.“
Gehorsam erzählte Jill alles, was sie über das Buch wusste. „Mir ist klar, dass sich das verrückt anhört, aber Emma und Rudolf sind in den Fünfzigerjahren wirklich verschwunden und nun habe ich sie in diesem Buch wieder gefunden“, schloss sie ihren Bericht.
„Das ist wirklich unglaublich“, sagte Dr. Blum nachdenklich.
„Sie können das Buch ja selbst lesen, dann glauben Sie mir vielleicht“, entfuhr es Jill plötzlich. Erschrocken riss sie die Augen auf und presste sich die Hand auf den Mund.
„Sagtest du nicht, das Buch wäre gefährlich?“, fragte die Dozentin nach.
Ja, natürlich, wollte Jill eigentlich sagen, doch die Worte blieben ihr im Hals stecken.
„Schlag das Buch auf und gib es ihr“
, hörte sie stattdessen eine Stimme befehlend in ihrem Geist hallen und ihre Hand streckte sich ohne ihr Zutun nach vorn. Jill biss die Zähne zusammen und schüttelte entschieden ihren Kopf. „Der Dämon“, flüsterte sie erstickt. „Er versucht bereits, mir Befehle zu erteilen.“
„Du musst dagegen ankämpfen.“
„Ich weiß“, presste die junge Frau hervor. „Aber das ist nicht so einfach. Können Sie mir nun helfen?“
„Ich weiß es nicht“, entgegnete die Dozentin erschüttert. „So etwas habe ich noch nie erlebt. Davon gelesen – ja. Aber eigentlich nicht wirklich daran geglaubt.“
Jills Herz sank. Niemand konnte ihr helfen.
„Da sind zwei kleine Runen auf dem Einband“, sagte die ältere Frau. „Ich werde versuchen herauszufinden, was sie bedeuten. Und ob man das Buch vernichten oder den Fluch irgendwie sonst brechen kann. Gib mir deine Handynummer, sobald ich etwas finde, rufe ich dich an.“
Das klang nicht gerade vielversprechend, aber etwas Anderes blieb Jill einfach nicht übrig. „Wenn es uns nicht gelingt …“ Ihre Stimme versagte und sie schluckte schwer. „Wenn es uns nicht gelingt“, setzte sie noch einmal an, „sorgen Sie dann dafür, dass das Buch sonst keinen Schaden mehr anrichten kann?“ Ihre Augen füllten sich mit Tränen.
Mitfühlend drückte Dr. Blum ihre Hand. „Ja, ich werde dafür sorgen, dass es nie wieder jemand liest. Aber so weit wird es nicht kommen. Wir haben noch drei Tage, um den Fluch zu brechen. Uns wird schon etwas einfallen.“
Jill nickte, nahm das Buch und ging nach Hause. Ihr Kopf war leer und sie fühlte sich wie ausgebrannt. Immer wieder musste sie dem Impuls widerstehen, das Buch einfach an einen wildfremden Menschen weiterzugeben. Und sie wusste, dass es der Dämon war, der sie bereits jetzt zu steuern versuchte.
Sie war müde, so müde. Doch sobald sie die Augen schloss und einschlummerte, landete sie im Reich des Dämons, der ihr einen Vorgeschmack auf den Schrecken gab, der sie schon erwartete. Es bereitete ihm ein perverses Vergnügen, seinen Sklaven Schmerzen zuzufügen oder sie sich bei sinnlosen Tätigkeiten halbtot schinden zu sehen. Selbst die kleine Emma blieb davon nicht verschont. Und immer wieder hörte Jill die boshafte Stimme in ihren Gedanken, die nach ihr rief und sie „seine Gespielin“ nannte. Den Horror, den dies für sie beinhalten mochte, wagte sie sich nicht einmal auszumalen.
Schließlich riss das Klingeln des Handys sie aus ihrem alptraumhaften Halbschlaf und holte sie in die reale Welt zurück.
„Ich glaube, es gibt einen Weg“, ertönte die Stimme von Dr. Blum aus dem kleinen Lautsprecher. „Da das Buch noch leere Seiten hat, ist es nicht abgeschlossen. Die Geschichte kann also noch verändert werden.“
„Verändert? Wie?“, fragte Jill, die bei diesen Worten hellwach wurde. Sie spürte, wie eine Welle der Hoffnung sie durchströmte.
„Ich denke, du musst die Geschichte zu Ende schreiben, die leeren Seiten füllen. Sozusagen ein Happy End erfinden.“
„Das ist alles?“, fragte Jill skeptisch nach.
„Naja, so einfach ist das auch wieder nicht. Alles weist darauf hin, dass das Ende sich aus der Geschichte ergeben muss, sonst funktioniert der Zauber nicht.“
„Und was heißt das genau?“, wollte Jill verunsichert wissen.
„Das ist mir leider auch nicht klar. Mehr habe ich nicht herausfinden können, tut mir leid“, erwiderte die Dozentin. „Ach ja, fast hätte ich es vergessen“, setzte sie dann hinzu. „Wenn du etwas aufschreibst, musst du am Anfang und am Ende jeweils die Rune setzen, die auf dem Titelblatt, beziehungsweise auf dem
Weitere Kostenlose Bücher