Im Bann des Mondes
Nacken berührte. Der stechende Schmerz ließ sie zischend Luft holen, und sie griff nach oben. Ihre Finger ertasteten mehrere in einer Reihe liegende Einkerbungen. Sie begann, am ganzen Körper zu zittern.
»Es hat mich gebissen«, wisperte sie. Sie wollte sich nicht daran erinnern, was
es
war. Ihr Magen hob sich und zog sich zusammen, während sie krampfhaft schluckte.
»Lassen Sie mich einen Blick darauf werfen.« Sanfte Finger untersuchten die Wunden. »Die Stellen sind nicht sehr tief«, meinte die Frau beruhigend, während sie die Verletzungen auswusch. »Das wird ganz schnell heilen … da bin ich mir sicher.« Trotzdem erhob sich die Frau und holte einen Tiegel mit Salbe. Mit kräftigen, sicheren Bewegungen trug sie die stechend riechende Creme auf Daisys Nacken auf.
Der Geruch ließ nach, und Daisy entspannte sich wieder etwas. »Was ist das?«, fragte sie.
»Eine alte Rezeptur. Hilft die Heilung zu beschleunigen.« Sie setzte sich wieder hinter Daisy und begann, ihr das Haar zu waschen. »Ich bin Mrs Tuttle«, erklärte sie. »Sie können mich gern Tuttle nennen, wenn Sie mögen.« Sie lachte kurz auf. »Seit Jahren bin ich nicht anders genannt worden.«
Daisy sah in das kleine Kohlenfeuer, das am anderen Ende des Raumes glühte. »Ich heiße Daisy.«
Der Klang ihres eigenen Namens hörte sich nicht richtig an. Sie fühlte sich nicht richtig an. Irgendwie betäubt.
»Könnten Sie wohl dafür sorgen, dass meiner Schwester eine Nachricht zugestellt wird?« Das plötzliche Verlangen, eine ihrer Schwestern zu sehen, war schon fast schmerzhaft stark. Poppy würde allerdings zu viele Fragen stellen und ihr das Gefühl geben, sich wie eine dumme Gans benommen zu haben, weil sie sich in solch leichtlebige Gesellschaft begeben hatte. Nein, sie brauchte jetzt Miranda, die ihr Trost spenden würde, ohne sie zu verurteilen. Ihre Stimme hatte einen leicht krächzenden Klang, als sie wieder sprach. »Es handelt sich um Lady Archer.«
»Natürlich, meine Liebe. Ich werde sofort einen Boten zu ihr schicken.«
Starke Finger massierten Daisys Kopfhaut, und cremiger Seifenschaum glitt ihr über Brüste und Arme. Das herausgewaschene Blut färbte den Schaum rosa. Im schwachen Licht des eleganten Raumes hätte sie sich auch einreden können, sich das Blut einzubilden. Doch es war echt. Bittere Galle stieg in ihrer Kehle auf. Sie zog die Knie an die Brust und schloss die Augen, um es nicht mehr sehen zu müssen.
»Tuttle? Der …« Sie befeuchtete sich die trockenen Lippen mit der Zunge. »Der Mann?«
Tuttles Hände verharrten nur kurz. »Hat das Zeitliche gesegnet.« Sie bekreuzigte sich und griff dann nach einem Krug.
Warmes Wasser strömte über Daisys Kopf, und sie kniff die Augen zusammen. »Ich erinnere mich nicht einmal mehr daran, wie er hieß.« Ihre Lippen zitterten. Sie hatte sich doch nur ein bisschen amüsieren wollen, nach einem harmlosen Vergnügen gesucht. Ihr war ganz elend zumute.
Tuttle gab einen besänftigenden Laut von sich. »Das ist eine ganz schreckliche Sache, Madam. Dem Herrn sei Dank, dass Ihnen nichts passiert ist.«
Daisy zog den Kopf ein, als der Schaum wieder ausgespült wurde. »Und Alex.« Sie schluckte den bitteren Geschmack in ihrem Mund herunter. »Alex ist meine Freundin.«
Tuttle wusch sie mit sorgfältiger Umsicht und half ihr dann vorsichtig aus dem Wasser, um sie in ein dickes Laken zu hüllen. Die Ruhe, mit der das alles geschah, hatte etwas seltsam Tröstliches, und als Daisy wieder auf dem mit grünem Samt bezogenen Sofa saß, meinte sie, einen etwas klareren Kopf zu haben. Leider wurde ihr dadurch jetzt auch bewusst, dass Tuttle sie nackt gesehen hatte. Vor Unbehagen verkrampften sich ihre Rückenmuskeln. Sie sah Tuttle an. Es war nicht sonderlich hell im Raum, und Tuttle hatte keine Bemerkung gemacht. Vielleicht war ihr also gar nichts aufgefallen.
Daisy zog das Tuch am Rücken etwas höher, als Tuttle ihr ein mit Brandy gefülltes Glas reichte. »Das schickt der Herr Ihnen. Eigentlich hatte er an Whiskey gedacht, aber dann meinte er, der könnte etwas zu stark für Sie sein.«
Daisy nippte am Brandy, während Tuttle geschäftig hin und her lief. Flüssiges Feuer brachte das Eis in ihrem Bauch zum Schmelzen, und ihre Gedanken begannen sich um ihren freundlichen Gastgeber zu drehen. Sie konnte sich nicht daran erinnern, Lord Northrup je begegnet zu sein. Andererseits war es mittlerweile ein Jahr her, seitdem sie das letzte Mal an gesellschaftlichen Ereignissen
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