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Im Bann des Mondes

Im Bann des Mondes

Titel: Im Bann des Mondes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kristen Callihan
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sein Tier rief, den Rücken kehrte … den durchs Unterholz huschenden Kaninchen und den ängstlichen Rehen, die Ian sogar jetzt riechen konnte. Er lachte kurz verbittert auf, während seine Füße förmlich über den Boden flogen und ihn mit einer schon unheimlichen Geschwindigkeit Richtung London trugen. Vielleicht würde er eines Tages zurückkehren, um einen Hirsch mit entfesselten Klauen zu erlegen. Würde er schon bald tief in heißes, flüssiges Blut eintauchen und sich mit unbekümmerter Lust an warmem Fleisch laben?
    Der weiche Boden unter seinen Füßen ging in befestigte Straßen über, und die saubere Luft wurde stickig und übelriechend, als er immer tiefer in die Stadt vordrang. Die Gebäude um sich herum nahm er nur verschwommen wahr, und der seltsame Passant war kaum mehr als ein farbiger Streif und ein Luftzug, als Ian vorbeirannte. So schnell war er. Schneller als er den ganzen kommenden Monat sein würde, da ihn jetzt der hell strahlende Vollmond mit Kraft versorgte.
    Ein Rollwagen tauchte vor ihm auf und rumpelte mit seiner Kohlenladung über die Straße. Mit einem weiten Sprung setzte er in einem hohen Bogen darüber hinweg, landete auf flinken Füßen und rannte weiter. Die Straßen waren jetzt belebter, voller Müßiggänger, die sich unter den Verkehr mischten. Achtlos schlängelte er sich an ihnen vorbei, wobei er immer wieder Unrat hochspritzen ließ, sodass übelriechender Gestank aufstieg.
    Mit der Schulter streifte er einen Kaffeeverkäufer, der seinen Wagen schob. Was würde der sehen? Einen Mann in Mokassins, die aus dem amerikanischen Westen stammten? Die weite graue Hose und das Leinenhemd eines Arbeiters? Etwas, das Ian Ranulf, der neue Marquis von Northrup niemals anziehen würde. Doch nicht dieser geschniegelte Dandy. Keiner würde je auf die Idee kommen, dass dieser Amok laufende Wilde Lord Northrup sein könnte.
    Ganz plötzlich verließ ihn die Kraft, und er wurde langsamer. Er atmete gleichmäßig ein und aus. Sein Herzschlag war so kräftig wie immer; nicht zum Stehen zu bringen … ewiglich. Der Gedanke hätte ihn beinahe in die Knie gehen lassen. Das Geplapper der Männer und Frauen, die den klaren Abend genossen, zerrte an seinen Nerven.
    Sein Schritt verlangsamte sich zu einem gemächlichen Schlendern, und Ian spazierte durch eine gewundene Straße, in der das Gedränge nicht so groß und der Fußgängerverkehr deutlich geringer war. Zu seiner Linken strömte gelbes Licht großflächig durch die Fenster eines älteren Stadthauses, das zwar immer noch schön war, doch in dieser unmodernen Gegend schäbig wirkte. Die Klänge eines schottischen Reels und das Lachen von Frauen übertönte hier den Lärm des Londoner Nachtlebens.
    Ian ließ dies hinter sich und trat in die Mündung einer schmalen Gasse, als er zwischen all dem die Sinne überwältigenden Gestank aus menschlichen Ausdünstungen, moderndem Wasser und Unrat deutlich den Geruch von Blut wahrnahm. Menschlichem Blut. Und im Hintergrund ganz schwach nur ein Hauch von etwas anderem … den Geruch nach Wolf.
    Es war dieser Geruch, diese deutliche Witterung nach Wolf, bei dem sich seine Nackenhaare aufstellten und ein Knurren aus den Tiefen seiner Kehle aufstieg. Siebzig Jahre lang hatte er sich beharrlich von seinesgleichen ferngehalten, und jetzt war es fast so, als hätte es die Zeit gar nicht gegeben. Instinktiv drehte er sich zu dem Geruch um, um sich auf denjenigen zu stürzen, der es gewagt hatte, in sein Revier einzudringen. Er blieb abrupt stehen. Das war nicht sein Revier. Nicht mehr.
    Kämpfen oder flüchten … mit diesen beiden gegensätzlichen Empfindungen rang er, bis er meinte, seine Brust würde aufreißen. Ein Schweißtropfen lief ihm in den Nacken. Fast wollte er sich schon abwenden, als der schrille Schrei einer Frau alle anderen Geräusche übertönte. Dann war ein wütendes Knurren zu hören. Ein Mann brüllte entsetzt auf. Das Knurren wurde lauter, und dann hörte er deutlich das Reißen von Fleisch und das Gurgeln eines Mannes, als würde er ertrinken. Blut … der Wohlgeruch dieses köstlichen Saftes stieg ihm in die Nase und ließ Ians Knie weich werden.
    »Mistkerl!« Ohne noch einmal nachzudenken, rannte er los in die Richtung, aus der der Geruch kam.
    Menschen strömten bereits in die Gasse, als Ian sich mitten in die Menge stürzte. Jemand schrie panisch auf. Eine Frau wurde ohnmächtig. Ein kollektiver Schauer des Entsetzens ging durch die Schaulustigen und verstärkte den Geruch der Angst

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