Im Bann des roten Mondes
wärmende Sonne in Eis verwandelt. In einer hilflosen Geste hob sie die Hände und ließ sie wieder sinken. Ihre Stimme klang belegt. »Philippe, ich liebe dich nicht mehr.«
XLI
Philippe stand am Fenster und starrte hinaus auf die Straße vor dem Hotel. Er fühlte sich, als hätte er einen Schlag ins Gesicht erhalten. Wieder und wieder sagte er sich, dass er Désirées Worte nicht auf die Goldwaage legen durfte. Sie schwieg beharrlich darüber, was in den Wochen ihrer Odyssee durch die Wüste geschehen war. Er traute den Tuareg alles zu, was er gehört hatte, und noch mehr. Aber es ängstigte ihn auch, wie sich Désirée verhielt. Er war ein praktischer, bodenständiger Mensch, der sich für jeglichen technischen Fortschritt begeistern konnte. Ja er arbeitete selbst an diesem Fortschritt mit. Doch wenn es um die menschliche Psyche ging, und zudem noch die Psyche einer Frau, versagte er vollkommen. Er konnte damit nicht umgehen.
Eigentlich war er froh gewesen, dass Désirée eine so lebensbejahende, weltoffene junge Frau war. Wahrscheinlich hätte er mit einem Mädchen aus behütetem Hause, womöglich noch scheu und weltfremd, auf die traditionelle Rolle der Frau in der Ehe getrimmt, gar nichts anfangen können.
Er erinnerte sich an seine erste Begegnung mit Désirée. Sie saß mit ihrem Vater und zwei weiteren Männern in einem dieser Cafés, wo Künstler und Intellektuelle verkehrten. Zunächst diskutierten nur die Männer. Aber nachdem sich Désirées Vater schon bald brummelnd in den Schmollwinkel zurückzog, weil seine Argumente keinen Beifall fanden, übernahm Désirée das Wort. Er beobachtete sie vom Nebentisch aus, und da sie laut genug sprach, konnte er auch jedes ihrer Worte verstehen. Er hatte keine Ahnung von griechischer Philosophie und auch nicht von den politischen Zuständen im antiken Karthago. Er wusste nur, dass Karthago zerstört worden war und es ihm eine Lebensaufgabe gewesen wäre, es wieder aufzubauen. Doch Désirée bewegte sich in dieser Diskussion, als hätte sie die letzten zweitausend Jahre gelebt und die Weltgeschichte unmittelbar mitbekommen. Das imponierte ihm. Das faszinierte ihn. Und er verliebte sich ganz spontan in sie. In seinen Augen war sie so ganz anders als die jungen Damen, die er gelegentlich kennen lernte und die seine Mutter, hätte sie noch gelebt, wohl als geeignete Heiratskandidatinnen erkoren hätte.
Natürlich hätte er nie erwartet, dass sein Werben auf Gehör stieß, und erst recht nicht, dass auch Désirée um ihn warb. Es war wie ein Wirbelsturm, in den beide hineingerissen wurden. Erst beachtete Désirée ihn überhaupt nicht, und seine ersten schüchternen Annäherungsversuche gingen ins Leere.
Es war auf einem kleinen Empfang in der ägyptischen Abteilung des Museums. Philippe hatte den Kurator bestochen, damit der ihm eine Einladung ausstellte. Etienne Montespan war natürlich die Hauptperson. Er stritt sich sehr temperamentvoll mit einem englischen Archäologen über die Entzifferung von Hieroglyphen, und er scherte sich nicht im Mindesten darum, dass der Raum voller Gäste war, die in ihrer Konversation durch den Streit empfindlich gestört wurden.
Désirée stand mitten unter ihnen, und der Temperamentsausbruch ihres Vaters schien sie nicht sonderlich zu beeindrucken. Philippe nutzte die Gelegenheit, um sich Désirée zu nähern.
Als er sich als Bergbauingenieur vorstellte, hob sie erstaunt die Augenbrauen. »Ach, wollen Sie sich was von den alten Ägyptern abschauen?«
So eine Reaktion hatte er nicht erwartet, und er lächelte überlegen, um seine Verwirrung zu überspielen. »Inzwischen sind mehrere tausend Jahre vergangen, verehrte Mademoiselle Montespan. Die Menschheit hat gewaltige technische Fortschritte gemacht. Was können uns die alten Ägypter hinterlassen außer unlesbare Schriftzeichen?«
Im gleichen Augenblick wusste er, dass er einen riesengroßen Fehler begangen hatte. Er sah es an ihrer Miene. Sie packte seine Hand und zog ihn zu einer Nachbildung einer Grabkammer. Mit der flachen Hand schlug sie gegen die Türfassung. »Das hier«, sagte sie und unterdrückte mühsam ihre Erregung, »ist die perfekte Form des Türstockes. Er kann tausende Tonnen Gewicht abhalten, einfach durch die geniale Konstruktion der flachen Winkel, die die Kraftkomponenten in sich selbst leiten. Noch immer sind die Pyramiden die gewaltigsten Bauwerke auf dem gesamten Erdball und die Baumeister von damals die genialsten Architekten. Wenn Sie so einen
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