Im Bann seiner Küsse
vorne im Wagen, die Hände nervös im Schoß gefaltet.
Vor dem Schulhaus lenkte Jim den Wagen durch den gedrängt vollen Hof zu einer Stelle am wackeligen Zaun.
Tess schluckte krampfhaft und wappnete sich für die vor ihr liegende Prüfung. Alles hing von ihr ab. Jacks Leben, ihre Zukunft, die der Kinder. Alles.
Heute - jetzt - musste sie etwas sein, was sie nie im Leben gewesen war. Sie musste den Kopf hoch halten, lächeln und auf das gottverdammte Podium steigen. Sie musste locker und verbindlich und überzeugend sein.
Ihr Selbstvertrauen ließ sie im Stich. Sie war nicht mehr sicher, ob sie es schaffen würde. Ihr Leben lang war sie still und isoliert und allein gewesen. Ein Mauerblümchen.
Denk nicht daran. Das gehörte der Vergangenheit an. Sie war nicht mehr die unscheinbare Tess Gregory Jetzt war sie Lissa Rafferty, Jacks Frau. Und sie hatte keine andere Wahl, als Erfolg zu haben. Jacks Leben hing davon ab.
»Lissa?« Jims Stimme riss sie aus ihren Gedanken. »Sie warten auf Sie.«
Tess hob den Kopf und versuchte ein Lächeln. »Danke, Jim.« Sie rutschte über das Sitzbrett und stieg ab, indem sie sich auf seine Hand stützte. Als ihre Füße auf dem Boden auftrafen, drohten ihre Knie nachzugeben.
Jim fasste unter ihren Ellbogen und gab ihr Halt. »Wie geht es Ihnen?«
Sie nickte steif. »Sehr gut. Gehen wir.«
Zusammen bahnten sie sich einen Weg zwischen den Wagen und Pferden hindurch, die auf dem grasbewachsenen Hof standen. Mit jedem Schritt spürte Tess, wie sich ihr Magen mehr zusammenkrampfte.
Langsam stiegen sie die Stufen hinauf. Das Ächzen der Bretter ließ die Gespräche im Schulhaus verstummen. Schweigen senkte sich über den kleinen Raum, als die Menschen sich umdrehten, einer nach dem anderen, um Tess anzustarren.
Als sie in der Tür stand, kam sie sich so fehl am Platz vor wie eine Distel im Rosengarten. »Hallo«, hörte sie sich so atemlos und zögernd sagen, dass sie unwillkürlich zusammenschrak und sich räusperte. Nach einem Nicken, das Jim und Minerva galt, schritt sie mit nüchtern klappernden Absätzen den Mittelgang entlang.
Vorne angekommen, drehte sie sich um und stellte sich der Menge abweisender Gesichter. »Hallo«, sagte sie wieder. »Ich bin Lissa Rafferty Ich weiß, dass die meisten mich nicht gut kennen und keinen Grund haben, mir zu trauen, aber ich bin trotzdem gekommen, um Sie um Hilfe zu bitten.«
Ablehnendes Raunen erhob sich.
Ed Warbass trat aus der Menge, ging den Mittelgang entlang nach vorne und stellte sich neben Tess. »Die Dame kam auf meine Bitte hin. Bringt ihr gebührenden Respekt entgegen.«
Die Leute beruhigten sich. Wieder spürte Tess ihre Blicke. Ihr Herz schlug so schnell, dass ihr schwindelte.
Sie unterdrückte das Verlangen, sich umzudrehen und davonzulaufen. »Wie Sie wissen, hat Jack, mein Mann, sich gestellt und befindet sich nun im Gefängnis in Victoria.«
»Dort gehört er auch hin!«, rief jemand laut.
Tess zuckte zusammen. »Dort gehört der Mörder hin«, sagte sie so leise, dass die Leute sich anstrengen mussten, um sie zu verstehen. »Aber was ist, wenn Jack nicht der Mörder ist?« Sie wartete und ließ zu, dass die erwartungsvolle Stille sich ausdehnte. Dann sagte sie leise: »Wenn er unschuldig ist, schweben wir alle noch immer in Gefahr.«
Ihr Blick glitt zu einem stattlichen Mann in der ersten Reihe. »Wenn Jack nicht der Mörder ist, sind Ihre Kinder in Gefahr. Ihre Frau ebenso.«
Der stattliche Mann lief rot an und sah unbehaglich drein. »Aber warum hat er dann gesagt, er hätte es getan, wenn es nicht wahr ist?«
Tess ließ den Blick über die Menge schweifen. »Hat einer von euch oder ein Angehöriger im Krieg gekämpft?«
Einen Moment lang rührte sich niemand, dann wurden langsam, fast zögernd ein paar Hände gehoben.
Tess konzentrierte sich auf einen der Männer, der etwas heruntergekommen wirkte, einen hohlwangigen Typ in Arbeitshosen. »Haben Sie deswegen noch ... Albträume?«
Der Mann erblasste und nickte hastig, wobei er ihrem Blick auswich.
Wieder ließ Tess den Blick über die Menge wandern. »Die Soldaten haben unvorstellbare Dinge mit ansehen müssen. Und manchmal können sie diese Erinnerungen nicht ... loslassen. Das ist auch Jacks Problem. Lautes Getöse erinnert ihn an Geschützfeuer. Und manchmal erschreckt es ihn so sehr, dass er in Panik gerät.«
Sie behielt die Leute im Auge, aber ihr Blick wurde weicher. »Ich weiß, dass die meisten das nicht verstehen können. Ich habe selbst
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