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Im Bann seiner Küsse

Im Bann seiner Küsse

Titel: Im Bann seiner Küsse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kristin Hannah
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bei sich gewesen war. Lange genug.
    Er trat an.das winzige Fenster und umklammerte die Eisenstäbe; er zitterte am ganzen Körper vor Anstrengung. Er beugte sich vor, schloss die Augen und lehnte die Stirn an das kühle Metall.
    Lissa. An sie zu denken war wie der Geschmack von kühlem Wasser an einem heißen Sommertag. Er atmete in einem tiefen Seufzer aus. Herrgott, wie sehr er sie vermisste.
    Geschieht dir recht, dass sie dir fehlt. Er kehrte dem Fenster resigniert den Rücken zu und fing wieder an, durch den Raum zu wandern.
    »He, Kumpel ... alles klar?«
    Jack drehte sich um, verwundert über die jähe Erleichterung, die er beim Klang einer menschlichen Stimme spürte. Er versuchte, dem Gefängniswärter zuzulächeln, es glückte ihm nicht. »Mir geht es gut. Danke.«
    Der Mann schob die Militärmütze aus der Stirn. »Brauchen Sie etwas?«
    Eine vernichtende Woge der Verzweiflung erfasste Jack bei dieser beiläufigen Frage. Ja, er brauchte etwas, brauchte es so verzweifelt, dass der Verlust ihn bei jedem Atemzug schmerzte. Er wollte sein Leben wiederhaben. Seine Frau, seine Familie.
    »Nein«, murmelte er.
    »Wie Sie wollen.«
    Jack sah dem Mann nach und unterdrückte das dumme Verlangen, ihn zurückzurufen, nur um ihn reden zu hören. Irgendjemanden, jeden ... nur damit er sich nicht so verdammt allein fühlte. Der leere Gang schien ihn zu verhöhnen.
    Er umfasste die rostigen Stäbe mit zitternden Händen und schlug mit der Stirn gegen das kalte Metall. Hilf mir, lieber Gott. Gib mir die Erinnerung wieder. Damit ich es wenigstens sicher weiß. Bitte ...
    Wieder hörte er schlurfende Schritte näher kommen.
    Müde öffnete Jack die Augen. Der Wärter stand draußen, die Arme verschränkt. »Sie sollten nicht mit dem Kopf so gegen das Gitter schlagen. Wir haben keinen Arzt.«
    Zögernd hob Jack den Kopf. »Entschuldigung.«
    Der Mann wandte sich zum Gehen, dann blieb er stehen und drehte sich um. »Möchten Sie vielleicht Papier und Schreibzeug? Dann hätten Sie etwas zu tun.«
    Die Ärzte haben sich geirrt, Jack. Du wirst es nicht los, indem du es vergisst. Nur die Erinnerung wird dir helfen ...
    Jack spürte die Angst in seinem Magen, kalt und hart.
    »Nun?«, fragte der Wärter. »Wollen Sie es versuchen?«
    Nur einen Versuch. Mehr verlange ich nicht. Nur einen Versuch.
    Jacks Hände umklammerten die Stäbe noch fester. Winzige Rostpartikel hafteten an seinen feuchten Handflächen. »Ja«, sagte er leise. »Ich will es versuchen.«
    »Gut.« Der Wärter lief in seinen Dienstraum und kam mit einer Kerze, mit Schreibpapier, Feder und Tinte wieder. »Also los«, sagte er und schob die Sachen durch das Gitter.
    Jack nahm sie mit zitternden Händen in Empfang. »Danke.«
    Als der Mann wieder gegangen war, stellte Jack die Kerze auf den unebenen Boden. Der volle Geruch nach kalter, feuchter Erde stieg ihm in die Nase. Er setzte sich mit gekreuzten Beinen neben das Licht, legte die Bibel, die man ihm gegeben hatte, auf den Schoß und das Papier darauf. Dann tauchte er sorgfältig die Feder in die Tinte und führte die Federspitze zum Papier.
    Seine Hand bewegte sich nicht. Die tintenfeuchte Spitze verharrte reglos.
    Er seufzte. Er konnte es nicht tun.
    Doch, du kannst es, Jack. Er hörte Lissas Stimme so deutlich, als wäre sie mit ihm zusammen im Raum.
    Er schloss die Augen, und einen winzigen Augenblick lang spürte er die Wärme ihres Körpers neben sich, hörte ihre leisen Atemzüge.
    Er führte die Feder ans Papier und fing langsam, ganz langsam zu schreiben an. Ich wusste, dass ich nicht dort sein sollte. Ich glaubte nicht an den Krieg ...
    Nun kamen die Worte, manche leichter als andere, und einige musste er ganz weglassen. Doch sie kamen. Er schrieb und schrieb und schrieb. Sämtliche Erinnerungen und Gedanken und Gefühle, die er so viele Jahre in der Finsternis seiner Seele versteckt hatte, strömten nun durch die Spitze seiner Feder aufs Papier.
    Er schrieb, bis die Kerze flackerte und herunterbrannte und ihm Tränen übers Gesicht liefen, bis die Dunkelheit ihn völlig umgab und die Worte vor seinen Augen verschwammen.
    Und noch immer schrieb er weiter.
     
    Der nächste Tag dämmerte grau und trüb herauf wie der vorangegangene, mit dicken, tiefen Wolken an einem metallgrauen Himmel. Regen prasselte in großen, plumpsenden Tropfen auf die Straße aus Sand und formte schlammige Pfützen.
    In der Ferne läutete die Schulglocke. Ihr melancholischer Klang hallte durch die feuchte Luft. Tess saß steif

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