Im Blut vereint
geschienen.
Sie hatten geglaubt, sie hätten mehr Zeit. Brown hatte gewissenhaft die Wetterprognosen verfolgt, während das Team im Eiltempo den wenigen Spuren nachging, die sich aus den ersten beiden Morden ergeben hatten.
Nun war es 7:00 Uhr früh. Vor mehr als vierundzwanzig Stunden hatte ein Jogger auf der Bootsrampe an der Jubilee Road die grässliche Entdeckung gemacht.
Ethan nahm die Fotos vom Fundort in die Hand und betrachtete sie genauer. Wie den beiden ersten Opfern waren auch diesem Arme und Beine entfernt worden. Aber sonst war alles anders. Dieses Mädchen hatte langes, feines, hellbraunes – fast blondes – Haar. Sie trug es in einem Pferdeschwanz. Einzelne Strähnen hingen ihr ins Gesicht. Sie wog deutlich mehr als Lisa oder Krissie, hatte üppige Brüste und Speckröllchen am Bauch. Am Bauchnabel hatte sie ein Piercing in Form eines kleinen Rings, wie es bei den jungen Mädchen derzeit offenbar angesagt war. Außerdem war sie sehr stark geschminkt gewesen. Nun war die Wimperntusche verschmiert, und mehrere schwarze Streifen zogen sich über ihre Wangen. Ihr blasses silbernes Lipgloss bildete einen bizarren Kontrast zu der wächsernen, von Petechien übersäten Haut.
Und es gab noch einen Unterschied zwischen dem jüngsten Opfer und denen davor: Ihrem Gesicht sah man deutlich mehr Angst an.
Der Mörder drehte offenbar auf.
Ferguson betrat den Einsatzraum und stellte sich an den Kopf des Konferenztischs. Die Teammitglieder setzten sich sofort. »Also, wir müssen diesen Kerl stoppen«, sagte sie entschieden. »Brown, was können Sie uns zum Täterprofil sagen?«
Constable Liv »Copper« Brown war der Profiler im Team. Bevor sie zur Polizei kam, hatte sie ihren Master-Abschluss in Verhaltensforschung gemacht. Sie war 1,85 m groß, schlank, hatte kupferbraunes Haar und war es gewohnt, dass alle Blicke auf ihr ruhten. Jetzt schaute sie in die Gesichter ihrer Kollegen. »Alles deutet auf das übliche Serienmörder-Profil hin – männlich, weiß, zwischen fünfundzwanzig und vierunddreißig.«
Ethan dachte an Richterin Carson. »Warum sind Sie so sicher, dass es ein Mann ist?«
»Alle Opfer sind junge Mädchen. Außerdem haben die ersten beiden bestimmte äußere Merkmale gemeinsam – schlanker Körperbau, ziemlich langes Haar. Also ist das der Typ Frau, um den seine Fantasien kreisen.«
Sofern der Mörder keine extrem scharfsinnige Richterin war, die genau wusste, dass sie den Mord an ihrer Tochter am besten vertuschte, indem sie sich weitere ähnliche Opfer suchte. Weil dann jeder annehmen würde, der Mörder sei ein Mann.
»Können Sie uns irgendwelche Angewohnheiten nennen, die uns helfen, ihn zu finden?«, fragte Redding.
Brown verzog das Gesicht: »Nein, bisher nicht. Offenbar ist er hochintelligent. Und er geht ausgesprochen planvoll vor.«
»Trotzdem hat er diesmal ein Opfer gewählt, das vom Äußeren her von den vorigen abweicht«, sagte Ferguson. »Wird sein Vorgehen also weniger planvoll?«
»Ich denke ja. Er hat auch nicht auf einen Wetterumschwung gewartet. Nach den Fällen, die mir bekannt sind, deutet ein solches Abweichen vom gewohnten Modus Operandi darauf hin, dass der Drang zu töten stärker wird.«
Jeder wusste, was das bedeutete. Vielleicht verhalf es ihnen zu einem Durchbruch.
Ethan beugte sich vor. »Was meinen Sie, wie sehen seine Fantasien aus?«
Lamond lachte. »Ja, und verraten Sie uns Ihre auch gleich, dann sehen wir ja, ob sie übereinstimmen.«
Brown grinste. »Die Opfer spielen hier eine Schlüsselrolle. Wir müssen herausfinden, wie weit der Mörder sich vom Aussehen leiten lässt. Bisher sieht es ganz so aus, als würde er junge Frauen bevorzugen. Aber zwischen Lisa MacAdam und der unbekannten dritten Toten gibt es doch große äußerliche Unterschiede.« Sie überflog ihre Notizen. »Damit wären wir wieder beim Modus Operandi.«
»Der war immer gleich«, sagte Ethan.
»Und weicht von der typischen Vorgehensweise ab.«
»In welcher Hinsicht?«, fragte Ferguson.
»Ein Mörder mit Macht- und Kontrollsucht will bei seinen Opfern normalerweise maximale Angst und maximalen Schmerz hervorrufen. Er muss seinen Selbstwert erhöhen, und das tut er dadurch, dass er das Opfer vollkommen entwertet.«
Ethan nickte. »Ich weiß, worauf Sie hinauswollen. Laut Gerichtsmediziner hat der Mörder die Mädchen nicht bei lebendigem Leib zerstückelt. Und an Kopf und Torso fanden sich auch keine Hinweise auf Folter.«
»Könnte er die Selbstaufwertung auch nach dem
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