Im Blutkreis - Roman
der medizinischen Hilfe und der Versorgung mit Medikamenten und Nahrungsmitteln den Opfern humanitärer Katastrophen und vor allem den Jüngeren auch eine langfristige psychiatrische Betreuung zukommen lassen wolle.
Durch diese Neuerung gelingt es One Earth, sich in allen Teilen der Welt Gehör zu verschaffen; die von dieser Rede sensibilisierte internationale öffentliche Meinung mobilisiert sich und ermöglicht der Organisation, zusätzlich zu den eigenen finanziellen Mitteln, die ihnen von ihren Förderern zur Verfügung gestellt werden, ein gewaltiges Vermögen anzusammeln.
Daraufhin erheben sich Stimmen, die nicht zögern, diese Alternative zu den French Doctors als einen geschickten Schachzug der Industriellen aller Couleur anzuprangern, die das Konsortium
bilden, um neue Märkte in den Ländern zu erobern, in denen sie Hilfe leisten.
Aber die Kritiker stoßen auf taube Ohren, und One Earth ist bereits auf der ganzen Welt präsent, in Äthiopien, in Biafra, in Brasilien etc., wo nichts entdeckt wird, was diese Anschuldigungen stützen würde. Die Organisation entwickelt sich in der Folge zu einer der mächtigsten im humanitären Business. Ihr Sitz wird nach Liechtenstein verlegt. Heute soll sie über eine Luftflotte von sieben Militärflugzeugen und fünf Hubschraubern verfügen. Die Gesamtzahl ihrer Mitarbeiter wird auf 3500 Personen (einschließlich lokaler Helfer) in der ganzen Welt geschätzt.
Laut meiner Kontaktperson scheint die Verwaltung transparent zu sein, und die Rekrutierung der Teams zeigt keine Unregelmäßigkeiten.
Soweit war nichts wirklich Verdächtiges zu erkennen, lediglich die Verbindungen von One Earth zur Welt der Psychiatrie waren beunruhigend. Nathan blätterte die folgenden Seiten des Dokuments durch, die die wichtigsten humanitären Katastrophen aufzählten, bei denen die Organisation sich engagiert hatte. Die letzten Seiten beschrieben ausführlich die Zusammensetzung der Teams während der verschiedenen Einsätze. Er konzentrierte sich auf den Abschnitt, der die Camps im Umkreis von Goma und im Süden des Kiwu-Gebiets betraf.
Die Ärzteteams, die im Norden und Süden des Kiwu-Gebiets im Einsatz waren, setzten sich zusammen aus Zellen, die ebenfalls in jedem Lager arbeiteten:
Medizinische Zelle: fünf Ärzte, darunter ein Unfallarzt, ein Spezialist für Infektionskrankheiten, ein Narkosearzt, zwei Chirurgen und vier Krankenpfleger.
Psychiatrische Zelle: fünf Psychotherapeuten, darunter drei Kinderpsychiater und zwei Krankenpfleger.
Bis dahin schien alles in Ordnung zu sein, aber der nächste Abschnitt machte Nathan hellhörig.
Außerdem gab es noch eine fliegende so genannte »Überwachungszelle«, die aus vier Männern bestand, die mit einem Puma-Hubschrauber von Camp zu Camp flogen. Dieses Team hatte die Aufgabe, das vor Ort rekrutierte Personal zu überwachen und kriminellen Auswüchsen wie Vergewaltigung, Erpressung etc. vorzubeugen, und nebenbei half es aus bei der Versorgung und der Evakuierung der Teams, wenn die Lage zu gefährlich wurde.
N. B.: Es ist mir nicht gelungen, die Namen dieser Männer herauszubekommen. Der Einsatz solcher Teams, die an Milizen erinnern, scheint zumindest ungewöhnlich zu sein und wird in den Kreisen der humanitären Organisationen scharf verurteilt.
Vier Männer, die nach Belieben kamen und gingen, an Bord eines Hubschraubers, der geräumig genug war, um eine große Menge Material zu transportieren … Vier Männer, die über unumschränkte Autorität innerhalb der Organisation zu verfügen schienen.
Dieses Profil entsprach durchaus der Vorstellung, die er von den Dämonen von Katalé hatte.
Nathan verließ den Salon und ging zu der Reihe von Telefonzellen, die sich rechts von der Rezeption befanden. Er nahm seine Brieftasche und zog eine Visitenkarte heraus. Ein kleines Rechteck mit dem Monogramm von One Earth, das er nervös zwischen seinen Fingern hin und her drehte.
Der Zeitpunkt war gekommen, ein Gespräch mit Rhoda zu führen.
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»Ha … hallo?«
»Rhoda?«
Die Verbindung war voller Störgeräusche.
»Na … Nathan … bist du es?«
Er antwortete nicht sofort.
»Ja.«
»Oh! Ich freu mich so sehr, dich zu hören… Ich hatte die Hoffnung schon aufgegeben, dass du mich anrufen würdest. Was passiert ist, tut mir aufrichtig leid. Ich habe oft darüber nachgedacht … Es ist allein meine Schuld, du hast dir nichts vorzuwerfen, deine Reaktion war ganz natürlich nach dem Schock, den du gerade
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