Im Blutkreis - Roman
eines nicht identifizierten Virus … Spezialisten, unter ihnen Derenne, sind vor Ort geschickt worden.«
»Was ist das denn für eine Geschichte?«
»Derenne hat Kontakt zu mir aufgenommen«, fuhr Woods fort. »Er ist äußerst besorgt. Blutproben sind ins Labor im Institut Mérieux in Lyon geschickt worden. Er konnte sich die Daten beschaffen und sie analysieren. Das Profil des Virus deckt sich mit seinen Recherchen. Er fürchtet, dass es sich um eine Art Selbstmordattentäter handelt, den unsere Mörder losgeschickt haben. Um ein Haar hätte er die französische Polizei informiert. Es grenzt an ein Wunder, dass es mir gelungen ist, ihn davon abzubringen. Sie hätten einen internationalen Haftbefehl am Hals gehabt. Als Gegenleistung für sein Schweigen habe ich mich verpflichtet, Staël zu informieren, dem ich die Situation ganz offen erklären konnte, weil ich sicher war, dass er die Sache nicht an die große Glocke hängen würde.«
»Wie … wie kann er sicher sein, dass es sich um unsere Männer handelt? Hat der Kranke… geredet?«
»Er ist tot, Nathan, aber in seinem Delirium hat er unaufhörlich von einem geheimnisvollen Blutkreis gesprochen. Er reiste vermutlich unter falschem Namen, die Sicherheitsdienste haben keine Ahnung, wer er ist. Sie glauben an irgendeine Viruskrankheit, die weiß der Teufel woher aufgetaucht ist. Aber mit Sicherheit nicht an einen Terroranschlag. Die Sache ist für alle unbegreiflich, aber Sie und ich, wir wissen Bescheid … Wir wissen, was für Ungeheuer sie sind… Der Angriff hat begonnen. Sie haben ganz offensichtlich einen Fehler gemacht. Laut Derenne ist der Krankheitserreger, über den sie verfügen, nicht stabil. Wir können sie noch aufhalten …«
»Ich werde Ihnen was sagen… Den Fehler haben SIE gemacht, durch Ihr Verhalten. Ich werde nicht kooperieren, weil das der beste Weg ist, die ganze Sache scheitern zu lassen.«
»Nathan … «, beschwor Woods ihn.
»Und jetzt hören Sie mir gut zu. Diese ganze Operation ist geheim und vollkommen illegal. Wenn Sie mich aufhalten wollen, müssen Sie mir eine Kugel in den Kopf jagen, und das werden Sie nicht tun, weil Sie wissen, dass ich die einzige Person bin, die an die Mörder herankommen kann. Sie wissen, dass sie mich wollen, weil ich eine Bedrohung für den Kreis bin. Ich bin Ihre einzige Chance, sie aufzuhalten. Sie werden mich also gehen lassen, ohne Staub aufzuwirbeln. Sagen Sie das Ihren Schießbudenfiguren, bevor sie einen Fehler machen, den sie bereuen könnten.«
Nathan ließ Staël los und wich, die Sig in der Hand, zurück in Richtung Hafen, wobei er die Waffe der Reihe nach auf jeden der Männer richtete. Als er auf der Straße war, warf er die Pistole auf den Asphalt und ging zu seinem Wagen, ohne sich umzudrehen.
Die Sirenen der Polizei, die wahrscheinlich von Passanten gerufen worden war, waren bereits in der Ferne zu hören.
Nathan stieg in sein Fahrzeug und brauste los, zum Flughafen von Genua.
Er zitterte am ganzen Körper und konnte es noch kaum glauben, dass er das Spiel gewonnen hatte. Doch mit jeder Sekunde, die verging, dachte er weniger an den Verrat des Engländers und daran, dass er jetzt doppelt verfolgt wurde – vom Blutkreis und von Staëls Männern, die ihn nicht so leicht entkommen lassen würden.
Er wusste jetzt, dass er auf sich allein gestellt war, und er konzentrierte sich auf sein neues Ziel.
Sein Blick wanderte über das Meer, in Richtung Orient, zu den salzigen Nebeln des Nildeltas. Zur Erde Ägyptens.
V
46
Alexandria, Ägypten
13. April 2002
Nathan kam gegen dreiundzwanzig Uhr aus Mailand in Alexandria an. Er stieg in eines der Taxis, die auf dem Flughafenvorplatz warteten, und ließ sich auf Empfehlung des Taxifahrers zum Cecil Hotel fahren, das an der Uferpromenade des Osthafens der Stadt lag, nur ein paar Schritte von der Großen Bibliothek entfernt.
Während der Fahrt sah er fast nichts von seiner Umgebung, von den überfüllten Straßen, den Kränen, den unfertigen Betontürmen und dann, je mehr er sich dem Zentrum näherte, dem Gewirr von Straßen, die von den fahlen Glühbirnen der Verkaufsbuden nur schwach erleuchtet wurden, und der Unmenge von Menschen, die sich in malvenfarbenen und kreidigen Staubwolken drängten. Auch Gerüche drangen zu ihm: die der von der Nachmittagshitze noch warmen Gehsteige, die der beißenden Rauchschwaden der Wasserpfeifen und des verkohlten Hammelfleisches.
Der Wagen bremste vor einem hohen, luxuriösen, blauweißen
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