Im Blutkreis - Roman
bekommen hattest …«
Die Stimme der jungen Frau klang unbeschwert, strahlend, unschuldig wie die eines Kindes.
»Reden wir nicht mehr davon«, sagte Nathan. »Ich kann mir noch immer nicht erklären, was in mich gefahren war, und ich glaube, dass … Hör zu, ich möchte, dass du weißt, dass ich dich auf keinen Fall verletzen wollte …« Er schwieg einen Augenblick, dann erklärte er: »Ich rufe dich aus einem anderen Grund an. Ich brauche deine Hilfe.«
Erneut prasselte und knisterte es heftig.
»Erzähle. Was ist los?«
»Ich brauche Informationen, die das Camp in Katalé betreffen … über die fliegende Zelle von One Earth, die ›Überwachungszelle‹. Ich muss wissen, wer diese Männer sind.«
»Warum?«
Schweigen.
»Du glaubst, dass es einen Zusammenhang mit deinen Nachforschungen gibt, nicht wahr?«, hakte sie nach.
Nathan atmete tief ein. »Es gibt einen Zusammenhang, Rhoda. Tut mir sehr leid, aber das ist die reine Wahrheit.«
»Lass die Geheimniskrämerei, rede…«
»Ich kann dir nichts sagen. Es geht auch um deine Sicherheit.«
»Überlass das mir. Sag mir lieber, was dir durch den Kopf geht, dann werde ich dir antworten … vielleicht.«
Nathan fühlte, wie die Wut in ihm hochstieg, und sein Ton wurde schärfer: »Wenn du es so willst … Als wir uns getrennt haben, bin ich in den Kongo gereist, ich bin nach Katalé zurückgekehrt … Das Grauen, das ich entdeckt habe, ist unfassbar.«
»Was hast du entdeckt?«
»Einen unterirdischen Stollen, die Reste eines Labors für grauenhafte medizinische Experimente, die jämmerlichen sterblichen Überreste Unschuldiger, die gefoltert wurden… Die Höhle der Dämonen.«
»Du willst mir doch nicht etwa sagen, dass die Männer der ›Überwachungszelle‹ in diese Verbrechen verwickelt sind?«
»Alle Elemente meiner Nachforschungen haben mich zu One Earth geführt.«
»Was du entdeckt hast, ist wahrscheinlich nichts anderes als ein Massengrab, es gibt Hunderte davon in Ruanda, im Kongo …«
»Da gab es modernste medizinische Instrumente, Spritzen, Untersuchungstische. Diejenigen, die das getan haben, manipulieren Viren und testen sie an Menschen, sie verschleiern ihre Verbrechen im Chaos der humanitären Katastrophen. Erinnere dich, verdammt. Das Mädchen, die Dämonen …«
»Jetzt sind es Viren? Du sp …«
Nathan ließ sie nicht ausreden. »Rhoda, ich weiß, was ich gesehen habe… Und jetzt bitte ich dich, mir zu antworten. Wer sind diese Männer? Ich muss ihre Namen wissen.«
»Ich soll dir sagen … Du bist ernsthaft krank … Du …«
»Rhoda … Hast du auf irgendeine Weise etwas mit diesen Verbrechen zu tun?«
Schweigen.
»Antworte.«
»Ich denke, es ist besser, wenn du mich nicht mehr anrufst.«
»RHODA, VERDAMMT…«
Sie hatte aufgelegt.
Nathan knallte den Hörer auf den Apparat und stand auf. Er hatte Mist gebaut. Er hatte sich nicht beherrschen können und damit alles ruiniert. Wenn sie zu ihnen gehörte, würden sie in weniger als einer Stunde wissen, was er entdeckt hatte. Sein Gesicht und seine Kehle brannten. Er schnappte sich seinen Rucksack und trat ins Licht hinaus.
Ein heftiger Wind blies über der Stadt. Nathan tauchte in den Sturm ein und ließ sich von den staubigen Böen forttragen. Er sah darin nur Traurigkeit und Verrat, die verstopften Straßen, die baufälligen Wohnhäuser, die Menschen, die in ihnen wohnten, kamen ihm wie Stelen und Totenmasken vor, die in einem wilden, makabren Tanz mitgerissen wurden.
Er ging die Uferpromenade entlang bis zum Fort Kaitbai, dem ehemaligen Mameluckenpalast, der sich gegenüber dem tosenden Meer in makelloser Pracht erhob. Er, der es niemals hatte glauben wollen, hatte jetzt das Gefühl, dass Rhoda ihn von Anfang an hinters Licht geführt hatte. Aus welchem Grund? Er wusste es nicht, aber ihr Verhalten ließ ihn jetzt ernsthaft zweifeln, was ihre Rolle in dieser ganzen Sache betraf.
Als er an die Leiche von Casarès dachte, die wie ein Zeichen auf seinen Weg gelegt worden war, keimte eine neue Theorie in ihm auf. Wenn Rhoda in die Sache verstrickt war, vielleicht hatte sie ihn dann bewusst auf die Spur der Massaker gebracht … Sollte das eine weitere Botschaft sein, die die Mörder ihm zugedacht hatten?
Gegen Mittag machte Nathan sich auf den Weg zurück in die Stadt. Er ging an der großen Abu-el-Abbas-Moschee vorbei, in
der die Menge sich drängte, und dann ins türkische Viertel hinein. Eine labyrinthische Enklave aus widerlichen engen
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