Im Blutkreis - Roman
Abhöranlage einzuschalten. Sie durften erst dann einschreiten, wenn Nathan selbst in Aktion getreten wäre. Aber alles hatte sich geändert, als Woods fortgegangen war, um die Waffen zu holen, und nicht zurückgekommen war.
Plötzlich ohne Partner und ohne Ausrüstung, war Rhodas erste Reaktion Panik gewesen. Aus einem Gefühl der Ohnmacht heraus hatte sie daran gedacht, alles hinzuschmeißen. Aber die Bilder der von den Henkern begangenen Gräueltaten, die Vorstellung, dass Nathan allein gegen diese Ungeheuer kämpfte, hatten sie schließlich davon abgebracht. Ohne weiter zu überlegen, war sie in den Landrover gestiegen und losgefahren. Mit dem Touristenvisum für die Gegend von Meroë, das Woods sich besorgt hatte, war sie problemlos durch die Straßensperren im Norden der Stadt gekommen. Anschließend hatte sie die Wüste durchquert und in der Dämmerung Karima erreicht. Nachdem sie das Fahrzeug versteckt hatte, war sie zu Fuß zur Nekropole gegangen und hatte sich in der Nähe des Klosters versteckt. Sie hatte nichts bemerkt bis zu dem Augenblick, als sie die Schüsse gehört hatte, die Nathan aus der Smith & Wesson abgefeuert hatte und deren Echo von den Hängen des Bergs zurückgeworfen worden war. Und da hatte sie beschlossen, in die Festung einzudringen. Im Innern hatten ihre Schritte sie in die Kirche geführt. Dort hatte sie Spuren eines Kampfs entdeckt und dann Michaels Beschwörungen gehört. Sie hatte sofort entdeckt, woher sie kamen. Da sie keine Waffe hatte, hatte sie einer Statue des heiligen Michael eine Stahllanze entrissen und war nach unten in die Krypta gelaufen.
Den Rest kannte Nathan. Er erzählte ihr jetzt die letzten Details seiner Geschichte. Anschließend half Rhoda ihm, sich
zu säubern, und bestand darauf, die Kugeln aus seiner Schulter zu holen, damit die Wunde sich nicht entzündete. Die für die Operation notwendigen Skalpelle und Pinzetten fand sie im Labor.
Michael war durch die Lanze gestorben, er würde in den Flammen verschwinden.
Das Feuer.
Sie würden alles verbrennen.
Sie errichteten einen Scheiterhaufen, indem sie alles Holz zusammentrugen, das sie finden konnten, und im Kloster verteilten; dann gossen sie aus großen Kanistern, die sie aufgestöbert hatten, das Benzin, das dazu bestimmt war, die Stromaggregate des Klosters zu versorgen, über den Boden, die Wände und in die unterirdischen Räume. Drei volle Kanister ließen sie mitten im Labor stehen.
Als alles vorbereitet war, stürzte Nathan in das Sanktuarium, um die sterblichen Überreste von Ashley an sich zu nehmen. Er legte den verstümmelten Kopf in ein Kästchen aus Elfenbein … Er sollte nicht das gleiche Schicksal erleiden wie das Ungeheuer.
Einen Augenblick später ging alles in Flammen auf.
Zuerst tanzten sie in Form einer prasselnden, orangefarbenen Krone, und der Rauch drang in schwarzen Wolken aus den Öffnungen. Dann loderten Feuerzungen zum Himmel empor und umzüngelten die Kuppeln und Kreuze in einem apokalyptischen Schein.
Rhoda und Nathan betrachteten verstört das Schauspiel, das sich ihnen bot. Schwaden glühend heißer Luft schlugen ihnen ins Gesicht, und Funken tanzten in ihren starren Pupillen, die vor Müdigkeit und Helligkeit brannten. Die Bilder der letzten Wochen stürmten auf Nathan ein. Aber durch die reinigende Kraft der Flammen verblassten sie sofort wieder. Die einzigen Bilder, die für immer seinem Gedächtnis eingebrannt bleiben
würden, waren die seiner Schutzengel, der tiefen Bande zwischen ihnen und des letzten Opfers von Woods. Der Ausgang seiner Nachforschungen hatte eine neue Gewissheit in ihm heranreifen lassen: Durch Rhodas bewaffneten Arm hatte ein Teil des Engländers ihn gerettet und einen Schlussstrich gezogen unter einen jahrhundertelangen Albtraum grausiger Verbrechen.
Rhoda fragte leise: »Was wirst du mit dem Text machen… dem Blutkreis?«
Nathan näherte sich daraufhin dem Flammenmeer und streckte die Hand aus, in der er den Papyrus hielt. Die nahe Hitze ließ eine scharlachrote Flamme auflodern. Er brannte. Die Buchstaben zerfielen einer nach dem andern, und die Fasern knisterten und krümmten sich unter der Einwirkung der starken Hitze…
Übrig blieb nichts als Asche.
Epilog
Wüste von Wadi Rajan, Ägypten
September 2003
Im Herbst wird das Licht weicher. Es hat nicht mehr die Farbe des Feuers, sondern des Bernsteins. Die kupfernen Konturen der Gebirgsketten vereinigen sich mit dem bleichen Himmel, und der Wind bläst heftiger und weht die
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