Im Bus ganz hinten
wollte ich auch. Fußball interessierte mich nicht die Bohne. Heimlich guckte ich
nachts immer die NBA -Finalspiele im TV. Mein Lieblingsspieler war Shaquille O’Neal von den Orlando Magic. Ich kaufte mir sein Trikot und
trug es von da an jeden Tag – über ein halbes Jahr lang. A ls ich eines Nachmittags zum Basketballplatz um die Ecke an der Osdorfer Straße
lief, spielte dort wie immer der A raber Bilal mit seiner Familie und seinen Freunden. Ich sah sie schon von Weitem auf dem Platz
herumdribbeln. A ls ich ankam, stellte ich mich an den Zaun, steckte meine Nase durch die Maschen und guckte begeistert zu. Sie versuchten,
mich so schnell wie möglich zu verjagen. »Hau ab. Verpiss dich, du deutsche Kartoffel«, rief mir Bilal zu und fuchtelte drohend mit der Faust
in meine Richtung. A ber ich sah das gar nicht ein. »Nö. Ich bleib hier. Ich guck ja nur«, konterte ich. »Hier wird nicht geguckt«, schrie er
mich an. Mit zwei breiten Kumpels kam er auf mich zugerannt und gab mir durch den Zaun eine krasse Schelle. Mein Kopf flog wie ein
Basketball nach hinten, so fest schlug der Typ zu. Die A nsage war klar: Sie wollten mich nicht dabeihaben. A n diesem Tag ging ich. Doch am
nächsten kam ich wieder. Bilal und seine Gang wurden nicht müde, mir klarzumachen, dass ich bei ihnen nicht erwünscht war. Ich nervte sie
tierisch. »Wir brauchen hier keinen Deutschen«, erklärten sie mir gebetsmühlenartig und gaben mir immer wieder einen Korb. Bis es ihnen
eines Tages zu dumm wurde und sie sich geschlagen gaben: »Du hast echt Eier in der Hose. Wir haben dich geschlagen, verjagt und
beschimpft. A ber du bist immer wieder gekommen. Du kannst bleiben.« Wow, ich hatte es geschafft. Ich wurde geduldet, und das war für
mich wie eine A rt Ritterschlag und machte mich extrem stolz. Freunde wurden wir zwar nie – aber wenigstens durfte ich ab und zu mal einen
Korb werfen und verbesserte so meine Basketball-Skills.
Familie Hoffmann – ein Stückchen heile Welt
Im Erdgeschoss unseres Hauses wohnten die Hoffmanns. Sie waren vollkommen anders als wir. Eine richtige Familie mit vier Kindern:
Sebastian, dem ältesten Sohn, und drei kleinen Töchtern, Nikola, Julia und Johanna. Die Mutter hieß Marianne, hatte lange braune Haare und
warme A ugen. Der Vater A rne war evangelischer Pastor, hatte eine Halbglatze und trug eine Brille. Er war total herzlich. Die ganze Familie war
ziemlich christlich – bei den Hoffmanns in der Wohnung hingen überall Kreuze an der Wand. Die Zimmer waren geschmackvoll mit alten
Möbeln eingerichtet und immer liebevoll dekoriert. Die Hoffmanns lachten viel und waren nie schlecht gelaunt. Mit ihrem Sohn Sebastian
verstand ich mich am besten. Er war zwar ein wenig älter als ich und zwei Köpfe größer, aber das war nicht weiter schlimm. Ich fühlte mich
nicht klein an seiner Seite, und meistens hatten wir total viel Spaß zusammen. Marianne meinte oft, ich sähe ihm ähnlich – wie ein Bruder.
Und genau das war Sebastian auch für mich. Ich hing fast jeden Tag bei der Familie ab. Meine Mutter war froh, dass sie mich los war, und für
mich war die Wohnung der Hoffmanns ein wunderbarer Zufluchtsort. Hier schien die Welt noch in Ordnung zu sein. Bei den Hoffmanns
vergaß ich das Getto. Sie waren mein Versteck vor dem beschissenen Rest der Welt. Die Hoffmanns hatten zwar auch nicht viel Geld, aber ihre
Kinder gingen alle aufs Gymnasium. Die ganze Familie war ziemlich schlau und gebildet. Und ich war stolz, mich wie ein Teil von ihnen fühlen
zu dürfen. Zum ersten Mal hatte ich eine richtige Familie. Marianne hat nie gesagt, ich solle abhauen. Ich wurde ihr nie zu viel, obwohl ich fast
täglich zum Essen blieb. Sie kochte immer frisch, weshalb die ganze Wohnung lecker duftete – und wie geil das Essen erst schmeckte!
Irgendwie nach Geborgenheit. Marianne Hoffmann war eine tolle Hausfrau, und ich habe mich immer gefragt, warum sich meine Mutter kein
Beispiel an ihr nehmen konnte. Vor den Mahlzeiten wurde bei den Hoffmanns gebetet, und manchmal nahmen sie mich sogar mit in die
Kirche. Dort lauschte ich begeistert den Predigten von A rne. Für mich war das alles völliges Neuland. Meine Mutter glaubte ja nicht an Gott
und interessierte sich null für die Kirche. A ber ich fand’s irgendwie schön. So beruhigend.
In dieser Zeit las ich sogar manchmal in der Bibel. Die Hoffmanns hatten ihr ganzes Leben danach ausgerichtet, was mir besonders auffiel,
wenn ich mit Sebastian
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