Im Bus ganz hinten
von der Stelle, wir rannten um
unser Leben und sprangen schließlich nacheinander mit A nlauf durch die Lücke – wobei ich mit meinem rechten Bein am Stacheldraht hängen
blieb. A aaaaaautsch! Es tat höllisch weh, aber ich wollte nur noch weg von dem Gelände. Zeit für Selbstmitleid hatte ich jetzt nicht. Ich riss
mein Bein mit Gewalt aus den Stacheln und zerfetzte mir dabei nicht nur die Hose, sondern auch mein Fleisch. Verwundet wie nach einer
Kriegsschlacht, schleppte ich mich nach Hause. Ich wollte mich heimlich in mein Zimmer schleichen, doch meine Mutter hatte mich kommen
hören. »Patrick, sag doch unseren Verwandten Guten Tag!«, säuselte sie überhöflich. »Ich komme gleich«, antwortete ich, während ich mir
schon die blutige und zerrissene Jeans auszog. Die offene Wunde sah furchtbar aus. Eigentlich hätte sie genäht werden müssen, aber ich
wollte auf keinen Fall, dass meine Mutter Wind von der Sache bekam. Das hätte nur wieder Ä rger gegeben. Mit Toilettenpapier verband ich
mir das Bein und zog mir eine neue Hose über. Die alte schmiss ich einfach aus dem Fenster. Bis heute weiß meine Mutter nichts von der
A ktion. A ber die Narbe sieht man immer noch.
Rechts ist schwul!
Wenn meine Mutter auf eine Idee kam, dann war die meistens nicht so gut. A ber eines Tages in den Sommerferien äußerte sie einen Wunsch,
der ganz besonders beschissen war: Sie wollte unbedingt, dass ich einen Ohrring trage. »Patrick, das sieht so toll aus. Ich hab das bei so
vielen Jungs gesehen. A lle werden neidisch sein«, schwärmte sie. »Nö, darauf habe ich keinen Bock«, erwiderte ich trocken und verschwand
so schnell wie möglich in meinem Zimmer. Ich fand die Idee meiner Mutter völlig Banane. Ohrring? Ich? Niemals! Es war mir zwar nicht
entgangen, wie hell die A ugen meiner Mutter bei diesem Thema gestrahlt hatten, und irgendwie wünschte ich mir ja nichts sehnlicher, als
dass sie eines Tages doch mal stolz auf mich wäre. A ber einen Ohrring wollte ich nun wirklich nicht.
Mit einem kleinen Trick bekam mich meine Mutter dann zwei Tage später doch rum. Sie öffnete langsam die Tür zu meinem Zimmer, streckte
ihren Kopf hinein und sagte fröhlich: »Okay, wenn du dir einen Ohrring machen lässt, dann kannst du dir im Spielwarengeschäft alles kaufen,
was du willst! Egal, was. Ist das ein Deal?« Sie grinste durchtrieben. Ich überlegte kurz. In meinem Kopf gingen die wildesten Dinge vor sich.
Ich sah alle möglichen Spielfiguren, Computer-Games und das original Knight-Rider-A uto aus der Serie vor meinem inneren A uge aufblitzen.
Ich sah ein komplettes Spielzeug-Schlaraffenland vor mir, einen gigantischen Werbespot für hochtechnisierten Kinderkram. Wahnsinn! Und ich
würde das A LLES haben können! Ein paar Sekunden lang herrschte absolute Stille im Raum, weil ich ganz in meiner eigenen Welt versunken
war. Dann sprach ich mein eigenes Todesurteil: »Okay, Mama. Ich mach’s!«
Und schon am nächsten Tag marschierte meine Mutter mit mir zum Ohrlochschießen. A ngst hatte ich keine, weil ich sowieso nur an das
Spielzeuggeschäft denken konnte. Ich sah mich schon wie einen Verrückten durch die Gänge wirbeln, den Einkaufswagen randvoll mit geilen
Sachen. A lso setzte ich mich, ohne weiter darüber nachzudenken, auf den Ohrloch-Hinrichtungs-Stuhl und machte die A ugen zu. Ich spürte,
wie die Frau aus dem Laden mir etwas unangenehm Kaltes an die Haut hielt, und dann hörte ich nur noch ein lautes »Peng«! Genau in diesem
Moment schoss ein spitzer Metallstecker wie eine Kanonenkugel durch mein Ohrläppchen. A aaaauuuuuuuuu! Es tat wesentlich mehr weh, als
ich erwartet hatte. Innerlich schrie ich, verzog nach außen aber keine Miene. Wie immer versuchte ich, so zu tun, als wäre ich vollkommen
cool. Der Schock war schnell verflogen, und ich betrachtete das Ergebnis im Spiegel. Das Ohr war natürlich noch knallrot und angeschwollen.
»Na ja, sieht ja ganz okay aus«, sagte ich trotzdem zu meiner Mutter. Sie strahlte zufrieden. »Du siehst super aus, Junge!« Sie streichelte mir
über den Kopf, und ich war happy, weil sie happy war.
Den dummen Ohrring hatte ich sowieso dreißig Minuten später schon wieder völlig vergessen. Denn da stand ich dann mit meiner Mutter im
Spielemaxx, dem absoluten Spielzeugparadies in unserer Gegend. Wow! Ich konnte haben, was ich wollte. Ein absoluter Traum! Ich ließ kein
Regal unbeachtet und fasste alles an, probierte jeden Scheiß aus und war dabei
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