Im Bus ganz hinten
Spätestens in der großen Pause war die Sache
dann eindeutig. Meine Klassenkameraden stolzierten hochnäsig an mir vorbei und taten so, als würde es mich gar nicht geben. Sie sprachen
nicht mit mir, nicht an diesem ersten Tag und auch später nie. Stattdessen lästerten sie sich die Seele aus dem Leib: Ich konnte beobachten,
wie sie ganz offensichtlich die Köpfe zusammensteckten und in meine Richtung zu tuscheln begannen. A lles nur verwöhnte Scheißer, dachte
ich mir.
Der einzige Lichtblick war Yazid. A uch seine Eltern hatten nicht so sonderlich viel Kohle, weshalb er die superreichen A ngeber an der Schule
genau wie ich zum Kotzen fand. Das schweißte uns zusammen. Er nahm mich öfter zum Essen mit zu sich nach Hause, wo ich ganz
ausdrücklich willkommen war. Seine Familie wohnte zwar ebenfalls in Zehlendorf, aber ihr Mietshaus war eher solide und zwischen all den
noblen Hütten eine willkommene A bwechslung. Die Wohnung war spartanisch eingerichtet – aber schön. Yazids Vater war ziemlich gezeichnet
vom Leben. Er hatte im Krieg im Libanon gekämpft, wo ihn eine Bombe übel zugerichtet hatte. Ihm fehlten Teile der rechten Hand. A ußerdem
hatte er kein Kinn mehr – es war ihm einfach weggesprengt worden. Sein Mund war immer offen, und man konnte ihn beim Reden nur sehr
schwer verstehen. Man hatte ihn in vielen Operationen wiederherzustellen versucht, aber so richtig erfolgreich gewesen waren die Ä rzte bis
dahin nicht. Obwohl Yazids Familie also genug eigene Probleme hatte, behandelten sie mich wie einen Sohn und waren immer für mich da.
So ist das in anderen Kulturen. Während die Deutschen meistens unter sich bleiben wollen, sind die A usländer total gastfreundlich. Das hat
mich berührt. Yazid war schon nach wenigen Tagen wie ein Bruder für mich. Ich fand’s cool, dass er genau wie ich Hip-Hop-Fan war. Und auf
dem Schulhof entwickelten wir uns zu einer Macht: Wir, die zwei armen Schlucker, gegen die ganzen reichen Pisser an der Schule. Ein echtes
Dream-Team. Wir waren in unserem A ußenseitertum so cool und selbstbewusst, dass die anderen allmählich nervös wurden und sich erst
recht vor uns beweisen mussten. Wenn zum Beispiel einer von den anderen Geburtstag hatte, dann wurde die ganze Klasse auf die Party
eingeladen – nur Yazid und ich nicht. Damit wir aber ja mitbekamen, was wir verpassen, stellten sich die eingebildeten Gören direkt vor
unseren Tisch und besprachen lautstark die exklusive Gästeliste. Sie diskutierten die Outfit-Wahl und die teuren Geschenke, die sie erwarten
würden. Es war immer das gleiche Spiel. Vollkommen lächerlich.
Lustig fand ich allerdings, als wir eines Tages mitbekamen, wie die Eltern der Schnösel-Kids ihre Bälger ernsthaft vor uns warnten: »Die sind
nicht gut für euch. Haltet euch lieber von denen fern. Die sind gefährlich und unberechenbar. Tickende Zeitbomben«, hieß es. A ls wir das
hörten, lachten wir uns kaputt. Irgendwie war ich sogar ein bisschen stolz drauf.
Satansbraten on tour
Nachdem unser Ruf an der Schule ohnehin schon ruiniert war, hatten wir großen Spaß daran, unserem coolen Gangsterimage alle Ehre zu
machen. Wir wollten den Snob-Kids zeigen, wie gefährlich wir wirklich waren, und fingen deshalb regelmäßig Streit mit den Lacoste-Pulli-
Opfern an. Bei der Klassenfahrt ins Schullandheim ging’s dann so richtig ab. Das Motto unserer Reise war: Satansbraten on tour! Und das
nahmen wir tierisch ernst: In den Gemeinschaftsduschen verarschten wir die anderen Jungs wegen ihrer lächerlichen Miniaturschwänze – und
behielten selbst als Einzige unsere Boxershorts an. So waren wir außer Konkurrenz und konnten die anderen hemmungslos auslachen. Die
Mädchen wiederum bespannten wir frech in den Umkleidekabinen. Wie die Geier standen wir vor dem Fenster und starrten ungeniert auf ihre
nackten Ä rsche und Brüste. Viel gab es da zwar noch nicht zu sehen – wir waren ja alle erst zehn Jahre alt und somit noch nicht in der
Pubertät. A ber Yazid und ich fanden es trotzdem witzig und lagen uns vor Lachen in den A rmen.
Dann hatte der Spaß eines A bends leider ein Ende. A ls wir nach einem Klassenausflug ins Schullandheim zurückkehrten, waren die Zimmer
aller Schüler verwüstet. Sämtliche Klamotten waren aus den Schränken und Koffern gerissen und lagen auf dem Teppichboden und auf den
Möbeln herum. Die mitgebrachten CDs waren aus den Hüllen gezogen worden und total zerkratzt. Natürlich fehlten auch
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