Im Bus ganz hinten
konzentrierten sich voll auf mich – den Eindringling. Das war extrem unangenehm. Es war wie ein Spiel im Tierreich. Sie ließen mich nicht aus den Augen, und es gab eine strenge Regel: Der Schwächere schaut irgendwann weg und hat verloren. Das checkte ich allerdings erst später – beim ersten Mal guckte ich weg. Ich wagte mich nicht gleich bis in die letzte Reihe, bekam die Sache allerdings auch nicht wieder aus dem Kopf. In den darauffolgenden Tagen checkte ich immer genau ab, wer hinten saß. Und wenn die Krassen da waren, traute ich mich nur in die vorletzte oder besser noch vorvorletzte Reihe. Ich tastete mich langsam an das Ziel heran. Erst als einmal gar niemand da war, wagte ich mich zum ersten Mal nach ganz hinten. Wow, das war ein Ereignis! Es fühlte sich an wie Geburtstag und Silvester zusammen. Ich war irgendwie stolz, als ich da saß. Und aufgeregt. In der letzten Reihe waren die Fensterscheiben total zerkratzt.
Alles war voller Tags. Kein Wunder: Die Sitze hatten eine Kunstlederrückseite, auf deren glatter Oberfläche die Stifte geil gleiten konnten.
Klinisch rein war hier jedenfalls nix. Begeistert schaute ich mir all die Tags genau an. Ich las die Namen der Typen, die vor mir hier ihre Spuren hinterlassen hatten, und wurde von einer gewissen Ehrfurcht gepackt. Die letzte Reihe konnte der Fahrer in seinem Spiegel nicht sehen, und das war das große Glück der Zeichner. Als ich das begriff, wollte ich auch sofort meine Spur hinterlassen. Aber »Patrick« konnte ich ja nicht wirklich da auf den Sitz schreiben. Das wäre ziemlich uncool gewesen. Ich brauchte einen richtigen Sprühernamen. Die Zeit drängte, und das Erste, was mir in den Sinn kam, war die MTV-Show Dial. Also knallte ich einfach, ohne weiter darüber nachzudenken, den Namen »Dial« auf die Rückseite des Sitzes. Und obwohl ich nur einen beschissenen Filzstift hatte, sah das Ergebnis extrem geil aus! Ich fühlte mich wie im Himmel. Bis mich plötzlich ein krasser Typ unsanft aus meiner Ekstase riss: »Steh auf, das ist mein Platz!«, fauchte er mich an.
Als Grundschuljunge hatte ich hier nichts verloren. Er hatte ältere Rechte, das war mir in dem Moment klar, als ich in seine böse flackernden Augen blickte. Also ergriff ich die Flucht. Ohne Widerrede.
Aber ich wurde immer gelassener, je öfter ich mich in die letzte Reihe traute. Ein paar Wochen später verscheuchte ICHschon Leute von MEINEMPlatz, auf dem fett »Dial« stand. Wenn es sein musste, gab’s auch mal eine Schelle. Das war hier ganz normales Tagesgeschäft. Nicht der Rede wert. Hier waren alle davon besessen, die coolsten Tags an den besten Stellen des Busses zu hinterlassen. Damit man nicht erwischt wurde, gab es einen besonderen Trick: Man durfte erst kurz vor dem Aussteigen seine Spur hinterlassen. Und dann, zwei Sekunden bevor der Fahrer die Tür schloss, um weiterzufahren, musste man auf den roten Stopp-Knopf drücken, der sie noch einen Moment lang aufhielt, und dann im letzten Moment rausjumpen. So konnte einen der Busfahrer ja gar nicht kriegen. Genial! Es war ein richtiger Sport. Und ich wurde immer besser darin.
Wer allerdings ein richtiger Busgangster sein wollte, der brauchte unbedingt auch die entsprechende Waffe: den Bushammer. Der war Kult und hing hinten am Ausgang, damit man im Notfall die Fenster einschlagen und flüchten konnte. Aber wenn man cool sein wollte, dann benutzte man den Hammer, um anderen damit eins überzuziehen. Ich musste ihn haben! Also griff ich eines Tages zu, damit ich in Stresssituationen mit meinen Konkurrenten oder dem Busfahrer auch für alles gewappnet wäre. Der Hammer kam allerdings nie zum Einsatz. Und Stress gab es nur, als meine Mutter das Ding irgendwann in meinem Rucksack fand.
»Wieso zur Hölle hast du einen Bushammer geklaut?«, fragte sie mich völlig verständnislos. Mann, war die sauer. Aber das war mir scheißegal. Ich war einfach nur stolz auf meine geile Jagdtrophäe.
Edding-Gangsta
Tags machen süchtig. Deshalb hatte ich jetzt nur noch eines im Kopf: Ich wollte überall meinen Namen hinterlassen. Dafür brauchte ich aber einen fetten Edding 800. Mit meinen Opfer-Filzstiften konnte ich nichts mehr anfangen.
»Mama, kann ich Geld für neue Stifte haben?«, fragte ich.
»Was willst du denn damit?«, erwiderte sie genervt.
»Ich brauch die für die Schule«, log ich und guckte verlegen in die Luft. Klar, dass meine Mutter mir kein Wort glaubte. Sie wusste genau, was ich damit anstellen wollte.
»Du
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