Im Café der moeglichen Traeume
Gesicht fällt? Ich würde alles darum geben, Junge, um nicht ausgerechnet jetzt an jenen Tag denken zu müssen. Lieber wüsste ich, wer geschrieben hat: »Sosehr wir uns auch bemühen, stets voranzuschreiten, und so groà die Versuchung auch sein mag, nicht zurückzuschauen, die Vergangenheit wird immer wiederkehren und uns in den Hintern beiÃen«, aber ich kann mich beim besten Willen nicht erinnern. Hypnotisiert vom Menuett der Schneeflocken atme ich ein und aus und beobachte die zwei Spatzen, die auf dem Fensterbrett gelandet sind, ihre gläsernen Augen, die Schnäbel, die sich berühren, die flaumigen Hälse, die sich auf der Suche nach Wärme aneinanderschmiegen. Mit der Präzision eines Metronoms atme ich ein und aus, und tatsächlich scheint sich der Knoten ein wenig zu lösen. Im selben Moment kommt mir der Gedanke, dass ich der unglaublichen Masse geflügelter Wesen, die auf unseren Fensterbänken herumtrippeln, nie Beachtung geschenkt habe und dass es an der Zeit wäre, sich auf die Gegenwart zu konzentrieren.
Meine Emporengenossinnen stehen auf, stecken sich die Stöpsel in die Ohren und raffen ihre Tüten zusammen. Der Boden knarzt unter ihren Absätzen, als sie sich kichernd auf den Weg machen und sich mit den Ellbogen anstoÃen. Wie gut ich doch ein paar Gramm von ihrer Leichtigkeit gebrauchen könnte, auch wenn ich ausgerechnet diese zwei Worte verstehe: arme Tussi. Sollte ich all meinen Stolz zusammennehmen und sie darauf aufmerksam machen, dass ich keine arme Tussi bin? Im Moment fühle ich mich zwar wie eine arme Tussi, Mädels, aber es wäre zu kompliziert, euch zu erklären, dass ich faktisch eine junge Frau im Wartestand bin.
Worauf ich warte, weià ich nicht genau, aber ich warte.
Eine Lösung, eine Schonfrist, etwas, das an eine Idee erinnert. Bei ein paar Tassen heiÃer Schokolade könnte ich noch ein wenig an diesem Tischchen verweilen, könnte meinen Lebenslauf noch einmal durchgehen, um mir eine mögliche Zukunft auszumalen, ohne dabei der Macht der Objekte zu erliegen, die sicher in meinem Karton verwahrt sind und mich nur daran erinnern würden, wie sehr ich noch dem Materiellen und meiner unbedeutenden Vergangenheit als Pressereferentin der übelsten PR-Agentur der Stadt verhaftet bin. Dass ich mich jemals in eine Bar Tabacchi für Nichtraucher zurückziehen würde, hätte ich mir bis gestern nicht träumen lassen. Jetzt ist die Idee, ein Leben ohne Kaufzwang zu führen, das Einzige, was mir in den Sinn kommt, um mir ein würdiges und irgendwie auch originelles Ãberleben zu sichern.
KATEGORIE NAHRUNG FÃR DEN KÃRPER
Verzicht
Alternative
Sinnlos einkaufen
Sonderangebote kaufen; zum Markt gehen; nur saisonales Obst und Gemüse kaufen; zuvor die letzte Seite aus Voltaires »Candide« an den Kühlschrank kleben, der lange vor Michelle Obama gesagt hat: »Jeder sollte seinen eigenen Garten bestellen«; Basilikum, Petersilie und sonstige Kräuter in die Blumentöpfe säen, die unbenutzt auf dem Balkon herumstehen
Mineralwasser aus Flaschen
Wasserfilter kaufen und auf Leitungswasser umsteigen
Yogakurs
Gratis in Form bleiben; dazu reicht es, wenn man ein paarmal täglich so tut, als hätte man etwas im Erdgeschoss vergessen; Hanteltraining beim Musikhören oder bei den Fernsehnachrichten; die Ãbungen auf YouTube noch einmal anschauen; joggen; auch im Winter das Fahrrad benutzen; auÃerdem: zu Fuà gehen, zu Fuà gehen, zu Fuà gehen
Zimmertemperatur über 20° C
Auf 18° C senken, um Kosten zu sparen und sich nach dem Zwiebelprinzip kleiden
KATEGORIE GEISTIGE NAHRUNG
Verzicht
Alternative
Zwanghafter Erwerb von Romanen
Die Bibliothek neu sortieren, und zwar nach Farben, um den Eindruck zu gewinnen, es habe sich etwas verändert; dabei etliche Romane entdecken (denn genau das wird passieren, ich weiÃ, dass es passieren wird), die man nie gelesen hat oder unbedingt noch einmal lesen sollte
Englische Konversation bei Miss Peate
Miss Peate den Ernst der Situa tion darlegen und dann mit der Website BBC Learning arbeiten, ein Garant für richtige Aussprache
Reisen
Die Verbindungen zu sämtlichen ausländischen Freunden wiederbeleben, die Wohnung auf die Website Home-Exchange setzen oder es bei CouchSurfing versuchen
Stapelweise Zeitungen, wie sie uns im Büro zur Verfügung standen
Im Internet gratis lesen und dazu beitragen, dass nicht ganze
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