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Im Café der moeglichen Traeume

Im Café der moeglichen Traeume

Titel: Im Café der moeglichen Traeume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paola Calvetti
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wichtiger Dinge Sorgen machen kann.
    Das könnte ich jetzt auch versuchen. Meine Sachen zusammensammeln, mich vom nettesten Kellner der Stadt verabschieden, nach Hause gehen, mich aufs Sofa legen, die Augen schließen und warten. Zu meinen Lieblingsbildern gehören Zehen, die im Sand versinken; der knallrote Sonnenuntergang über der Schneefläche am Nordpol, wie ich es in einem Dokumentarfilm gesehen habe; Sonnenuntergänge überhaupt, dieser zeitenthobene Moment, wenn man aus dem Licht in die Dunkelheit tritt; ein Wald, in dem ich Bäume umarme; die Fantasie, nachts in einem großen Kaufhaus eingeschlossen zu sein, in dem alle Lichter brennen und ich durch die Abteilungen laufe und alles tun und lassen kann, was ich will.
    Die Zeiger zurückzudrehen ist eine riskante Angelegenheit, plötzlich habe ich wieder einen Kloß im Hals. Besser noch ein wenig in der Bar verweilen und einen Plan schmieden. Ich brauche einen Notfallplan. Planen ist wichtig im Leben, aber stattdessen vergrabe ich mich in Erinnerungen und starre in die Speisekarte.
    Großmutter, wo bist du nur?
    An jenem Nachmittag schoss ich eine Polaroidaufnahme von meinen Füßen, stellte den Ton des Fernsehers leise und kuschelte mich unter die Decke.
    Es war der Duft ihres Parfüms, der mich weckte.
    Chamade war Mamas Duft.
    Sie war nach Hause gekommen.
    Jetzt beugte sie sich über mich. Nicht einmal ihren Mantel und die Ziegenlederhandschuhe hatte sie ausgezogen. Ihre Hände, die perfekte doppelte Knoten machen und Kinder aus Bäuchen von Müttern ziehen konnten, berührten mich sanft. Sie lächelte, aber das Lächeln passte nicht zum Rest. Vor allem nicht zu den Augen. Sie zog mich an den Schultern hoch und streichelte mein Haar und wiegte mich, als wäre ich eines ihrer Neugeborenen. Wie eine kaputte Schallplatte, die ständig dieselbe Stelle spielt, setzte sie ein paarmal zum Reden an. Sie sprach abgehackt und wiederholte ständig meinen Namen, wie in einem Liedchen, Olivia, Olivia, Olivia … Dann hielt sie inne und erdrückte mich mit ihren Umarmungen, bis mir regelrecht die Rippen wehtaten. Es war, als würde es ihr unerträgliche Schmerzen bereiten, die sechs Buchstaben meines Namens auszusprechen. Wenn ein Kind in dieser Weise leidet, weiß man nie, wo es wirklich wehtut.
    Innerlich sang ich.
    Quand Olivia rêvait,
    C’était d’un grand amour,
    Plus grand que la forêt …
    Ich genoss den süßlichen Duft und die Wärme. Mama war nicht der Typ für herzliche Umarmungen, daher ließ ich mir diesen wunderbaren Geruch von feuchtem Flanell nicht entgehen. Sie schaute mich mit ihren unglaublich blauen Augen an und schien irgendetwas von mir zu erwarten. Sie weinte und drückte mich an sich, und es war nicht zu erkennen, wer hier wen tröstete. Während Familie Bradford auf dem Rasen vor dem Haus den Grill aufbaute, schaukelten die Worte in der Luft wie kleine Bojen auf der Meeresoberfläche.
    Â»Ich hab dich lieb«, wiederholte sie unentwegt, und plötzlich begann ich zu begreifen, was sie nicht zu sagen vermochte. Ich brauchte ihr die Worte aber nicht von den Lippen abzulesen. Es war vielmehr, als würde ich im hintersten Winkel meines Herzens die Wahrheit kennen und müsste nun dafür sorgen, dass in meinem Innern alles blieb, wie es war. Noch eine Weile zumindest. Als die Aufregung irgendwann verflog und sie sagte: »Mein Schatz, meine Mama, deine Großmutter … unser wunderbares Großmütterchen … ist tot«, war es, als hätte ich es nicht gehört.
    Musste man ihr denn nicht einfach nur das Bein eingipsen?
    Für gewöhnlich erzählte man in unserer Familie selbst Kindern keinen Unsinn, man flüchtete sich nicht in Metaphern oder Schönfärberei, aber in diesem Moment hätte ich gerne so etwas gehört wie: »Großmutter ist in den Himmel geflogen, sie ist zu einer langen Reise aufgebrochen. Irgendwann wird sie wiederkommen.«
    Ein Wunder!
    Â»Warum stirbt man?«
    Â»Um ein Engel zu werden.«
    Die Geschichte mit den Engeln war mir neu. Vielleicht war es das Erste, was ihr in den Sinn gekommen war, ohne dass sie allzu gründlich über die Folgen einer derart starken Behauptung nachgedacht hätte. Ich fand sie aber gar nicht so übel, die Idee, unter den Flügeln eines Engels mit Großmutters Gesicht Schutz zu suchen.
    Weinen musste ich nicht.
    Ich lief in mein Zimmer, zog den

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