Im Café der moeglichen Traeume
Zwölf-Zentimeter-Absatz. Das Projekt, für das ich Zitate aus der Literatur zusammengeklaut hatte, war für einen Kunden gedacht, der seine Getränkeautomaten mit einem ganz frischen Ansatz auf dem Markt lancieren wollte. Ich musste mir nicht einmal den Kopf zerbrechen, sondern habe einfach in meinen Büchern herumgeblättert, auch in jenen, von denen nichts als ein »Erinnerungsduft« haften geblieben war. Den Rest habe ich im Internet recherchiert, das für solche Projekte eine wahre Fundgrube ist. Beim planning habe ich den Herren von der Marketingabteilung elegante slides mit einer Autoren-Collage präsentiert, die man gleich auch noch dem Kunden vorführen konnte, und Volltreffer! Die Phrasen mit dem Kaffeeduft überzeugten ihn, die Umsetzung des Projekts wurde jemand anderem übertragen (älter als ich und auch männlicher, gerissener und besser vernetzt), aber ich durfte ihm assistieren und erlebte einen verlängerten Moment des Triumphes.
Das öffentliche Bekenntnis meiner Erfolge verschiebe ich lieber und hoffe derweil, dass die Kekse ein Geschenk des Hauses sind. Das Unbewusste arbeitet für mich: So wie ich denke, bewältige ich die Herausforderungen der Armut schon ganz gut. Ich begegne dem eindringlichen Blick des GroÃvaters, sehe aber plötzlich durch eine sonderbare Assoziation das Kostüm der Witch vor mir (die in diesem Moment an ihrem amerikanischen Kaffee schlürfen und ein anderes Talent stilllegen wird, um dann in die wohlverdienten Ferien einer Killerin zu gehen) und mit ihm die »Dead Men Walking« von B & P. Deutlich habe ich sie vor Augen, eine Projektion hinter den Zweiglein der Tapete: Sie sitzen im Versammlungsraum, stoÃen auf das neue Jahr an und tauschen Geschenke und Glückwunschfloskeln aus.
Alles Gute für das neue Jahr!
Ich möchte nicht daran denken, ich darf nicht daran denken, auch wenn es mir guttun würde, denn bekanntlich verlieren durch die Kraft der Gedanken selbst die schlimmsten Visionen an Macht. Sie verlieren an Bedeutung und wandern in den Bereich des Relativen, wo sie zurechtgestutzt werden.
»Es gibt für alles eine Lösung«, hat meine GroÃmutter immer gesagt, und ich kann ihr nicht ganz unrecht geben, jetzt, da ich sie so verzweifelt suche.
Ich setze all meine Hoffnungen auf sie und vervollständige, während ich auf die Kekse warte, meine Liste.
Verzicht
Alternative
Sky-Abo
Aus dem Internet Flash forward , Lie to me und The Mentalist im Original herunterladen
Geschenke machen
Unwillkommene und nutzlose Geschenke recyceln; kleine kreative Geschenke selber machen
Essen gehen
Auf einen ausgedehnten Aperitif setzen, den man mit mehreren Gängen weit in den Abend hinein zum Buffet strecken kann, ohne viel zu zahlen; die Leute nach Hause einladen und sie bitten, etwas mitzubringen
Konzerte
Die Telefonnummer des Musikkritikers hervorkramen, dem ich vergangenes Jahr im allerletzten Moment eine Akkreditierung für das U2-Konzert besorgt habe
Mein iPhone, ein Weihnachtsgeschenk von Papa
Skypen
Liebe und Glück ins Zentrum des Lebens stellen, das ist es, was ich tun muss. Die Liebe ist gratis, und mit der Liebe kommt das Glück, das Glück in seiner vornehmsten Form. Es lauert, wo du es am wenigsten erwartest. Mach dich auf die Suche.
Kurzum, ich muss mich bescheiden , was nicht notwendigerweise heiÃt, sich wie ein Nichts zu fühlen. Zumindest auf dem Papier meines Notizbuchs ist es ein Kinderspiel, eine patente Frau zu werden. Ich denke über andere Verzichtsmöglichkeiten nach, und mir fällt Geld ein. Das ich gar nicht habe.
Es geht mir gegen den Strich, meine Familie um Hilfe zu bitten, obwohl ich mich damit trösten könnte, dass viele meiner Freunde und Bekannten längst dazu gezwungen sind. Wenn es für eine Tochter schon unendlich traurig ist, sich plötzlich arm zu fühlen, könnte es für eine Mutter, die sich von morgens bis abends im Krankenhaus abschuftet, die Hölle sein.
Das Kind zeigt mit seinen fettigen Fingern auf meinen Karton. Schüchtern versuche ich, Kontakt aufzunehmen, aber sobald ich das hübsche Ding anspreche, klammert es sich an die Beine des GroÃvaters. Offenbar mache ich ihm Angst. Vielleicht spürt es, dass ich Einzelkind bin und â von meiner sporadischen Babysitter-Tätigkeit mal abgesehen â keinerlei Erfahrungen mit menschlichen Wesen unter zehn habe.
»He, du Spatz, wie heiÃt denn dein
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