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Im Café der moeglichen Traeume

Im Café der moeglichen Traeume

Titel: Im Café der moeglichen Traeume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paola Calvetti
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diesem nicht einfach davonstehlen konnte. Wenn alles den Bach runtergeht, ziehe ich Trost aus Gedichten, und für gewöhnlich funktioniert es.
    Danke, Großmütterchen.
    MAGISTER IN FREMDSPRACHEN UND
LITERATURWISSENSCHAFTEN
    Meinen Professor davon zu überzeugen mich eine Arbeit über Mary Wortley Montagu schreiben zu lassen – diese exzentrische Schriftstellerin des achtzehnten Jahrhunderts, die mit ihrem Ehemann, dem Botschafter am Hof von Konstantinopel, herumreiste und Inspiration für ihre Werke in Bordellen und Türkischen Bädern suchte –, war kein leichtes Unterfangen. Er war geneigt, sie als Randfigur der englischen Literaturgeschichte abzutun, und zwar aus dem durchschaubaren Grund, dass er mich dann nicht als Zuträger für seine eigenen Ergüsse in irgendwelchen obskuren Fachzeitschriften missbrauchen konnte.
    Die Ausgabe ihrer Briefe, Letters Written During Her Travels in Europe, Asia and Africa , lag in der British Library in London. Mit dem Segen meiner Familie fuhr ich hin und bewohnte in einem heruntergekommenen viktorianischen Stadthaus ein Zimmer, das die Familie Winslow in ihrer eigenen Wohnung untervermietete, seit man die Tochter wegen höherer Gewalt (Zwillinge!) äußerst jung hatte verheiraten müssen. Neben dem Segen hatte mich meine Familie mit hinreichend vielen britischen Pfund ausgestattet, um mir in den nächsten Wochen ein anständiges Leben zu ermöglichen. Jeden Morgen ging ich in den Russel’s Square Park und setzte mich ein paar Minuten unter die schützenden Äste einer Eiche, die mir mit ihren zum Himmel gereckten Armen einen guten Morgen zu wünschen schien.
    Da ich als Babysitter arbeiten und auch noch andere Jobs verrichten musste, war ich als Studentin nie vom trägen Rhythmus des Studentenlebens absorbiert worden, aber ich hatte auch nie die Einsamkeit verspürt, die einen zwischen den gesenkten Köpfen und den über ihre Zeitungen gebeugten Schmarotzern im Lesesaal ergreifen kann. Jedes Mal, wenn ich in der British Library von den Letters aufschaute, jagte mir die klösterliche Ruhe Schauer über den Rücken. Abgesehen von den stummen Gesprächen mit meiner Großmutter, die ihren geistreichen Witz dort oben keineswegs eingebüßt hatte, sprach ich mit niemandem. Meine Begeisterung für die gezierte Sprache der Lady Montagu wuchs von Seite zu Seite, und ich verspürte schon ein gewisses Triumphgefühl, als mir das Schicksal plötzlich einen Tischnachbarn bescherte. Er war groß und massig, hatte einen fahlen Teint, und unter den runden Pflastern auf seiner Stirn schauten Aknewunden hervor.
    Â» You hold that book in a strange way.«
    Auf diesen bizarren Annäherungsversuch antwortete ich mit Eliza Doolittle, Anfangsszene My Fair Lady , und obwohl mein Nachbar nicht im Entferntesten den Charme von Rex Harrison besaß, war er nach den Winslows das erste menschliche Wesen, das seit meiner Ankunft das Wort an mich gerichtet hatte.
    Also: » Hello. How. Nice. To. Meet. You.«
    Und dann, in holprigem Englisch: »Entschuldige bitte, aber inwiefern halte ich das Buch komisch?«
    Trotz seiner Unbeholfenheit ging ich davon aus, dass der Typ mein Bedürfnis nach menschlichem Umgang gespürt hatte. Nach diversen » Nice to meet you« begann er, mir von seiner Abschlussarbeit zu erzählen. Mein British English war so verrostet wie ein Schlüssel auf dem Grunde eines Teichs, und ich verstand lediglich ein paar Phrasen. Glücklicherweise merkte er es, zügelte sein Ungestüm und betonte seine Worte nun wie für einen Schwerhörigen. Was machte es schon, dass die Tage vor dieser Begegnung eine einzige Aneinanderreihung von Monologen vor dem Spiegel gewesen waren und mir nicht im Traum eingefallen wäre, mit so einem Typen ins Bett zu gehen! Ich hatte einen Freund gefunden, und tatsächlich ließ ich mich von der Begeisterung, mit der er über seine Zukunft sprach, mitreißen. Er würde Anästhesist werden, dann London verlassen und in Afrika arbeiten. Erleichtert vergaß ich Lady Montagu und folgte ihm zu einem Automaten mit Getränken, die entfernt an Tee, Kaffee und Cappuccino erinnerten.
    Der Typ musste besessen sein, denn er erzählte mir tatsächlich von seiner Abschlussarbeit. In meiner extremen Einsamkeit war mir allerdings jedes Thema recht.
    Â»Stell dir vor, das Narkosegas wurde durch reinen Zufall entdeckt, Mitte des neunzehnten

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