Im Café der moeglichen Traeume
aber daran muss ich sie nicht erinnern. Sie weià selbst, dass man hinter ihr schon mit den Hufen scharrt.
PRAKTIKUM 6 + 6
ASSISTENTIN PR-AGENTUR
In der Nacht vor meinem ersten Praktikum wurde ich von apokalyptischen Visionen heimgesucht. Ein Horrorfilm, der mit einem PADADAMM abriss, nachdem Unbekannte die ganze Zeit geschrien hatten: »Beweg dich!«, »Los!«, »Mach schon!«, die pelzigen Nasen an die Fensterscheibe des Autos gedrückt, das allmählich auseinanderfiel. Der Platz für den Fahrer war so eng wie in einem Raumschiff, die Fenster klemmten, und das Lenkrad war eingefroren und rutschte mir aus den Fingern. Ich wollte rufen: »Ich habe keinen Führerschein, ich kann gar nicht fahren«, aber meine Stimme haftete an den Stimmbändern wie eine Alge am Fels.
Als ich aufwachte, pochte mein Herz.
PADADAMM .
Das Kopfende des Bettes war abgefallen und hatte mich aus dem Traum gerissen. Endlose Sekunden lang musste ich mich erst einmal sammeln, beruhigt von den Stimmen meiner Eltern, die bereits im Aufbruch zum Krankenhaus waren. Sie begnügten sich mit einer aus der Ferne herübergerufenen Erklärung: »Nichts passiert. Es ist nur das Kopfteil abgegangen.« Es war halb sieben, und dass sie die Sache so leichtnahmen â »Das reparieren wir heute Abend, mein Schatz, tschüss, wir müssen, wir sind spät dran, viel Glück heute und so« â, deprimierte mich zutiefst. Diese unbewusst für meinen Minderwertigkeitskomplex verantwortlichen Personen hatten im Leben alles erreicht, während ich mit meinen dreiundzwanzig Jahren gelähmt war vor Panik, weil ich mich einem stinknormalen Praktikum nicht gewachsen fühlte. In England wurden Praktikanten wie ich runner genannt, was ein vornehmer Ausdruck dafür ist, dass sie Sklaven sind, die »springen« müssen: ans Telefon gehen, fotokopieren, Brötchen schmieren â nichts allerdings, was es rechtfertigen würde, ein Drama daraus zu machen. Das Unterbewusstsein folgt aber Regeln, die der Verstand nicht kennt.
Vielleicht war das die Leidenschaft.
Mein komplexes Bouquet: Babysitter, Weihnachtsaushilfe in der Schalabteilung von Gucci, Ãgypterin in Aida , Ãbersetzung zweier Kinderbücher aus dem Englischen, Nachhilfe in jedem erdenklichen Fach für Rachele, die Tochter der Nachbarn von nebenan. An jenem Tag erwartete mich aber mein erster Schreibtisch, acht Stunden am Tag, fünf Tage die Woche. Die PR -Agentur Red Door suchte eine bilinguale Assistentin mit Abschluss und Ambitionen. Ich entsprach dem Anforderungsprofil, und wenn ich den Job nicht genommen hätte, wäre sofort die zweite in der langen Schlange ungeduldig stampfender Anwärterinnen nachgerückt. Die Freundin hatte sich beeilt, mich darüber aufzuklären, dass sie mir natürlich nichts zahlen könnten, sie seien eine kleine Agentur und hätten kein Budget, aber dafür würde ich Kontakte zu den einschlägigen Kreisen knüpfen können. Was gehen mich irgendwelche Kreise an? Arbeit ist eine Aktivität, die man per definitionem für Geld verrichtet, aber für eine junge Frau ziemt es sich natürlich nicht, über Geld zu reden, wenn sie nicht als arrogant gelten will.
Das Angebot wurde mir als Gelegenheit verkauft, meinen kümmerlichen CV aufzuwerten.
Für jemanden, der sich sonst nicht einmal unter Hypnose an seine Träume erinnert, war die Botschaft klar: Bleib zu Hause, Olivia. Obwohl es für eine altkluge Literaturwissenschaftlerin mit Bestnoten natürlich etwas demütigend war, unmittelbar vor dem Start in die öffentlich anerkannte Sklaverei einen Rückzieher zu machen. Oversize-Jackett, weiÃe Hose und weiÃe Bluse lagen auf dem Stuhl bereit, dazu blaue Ballerinas und Perlenohrringe. Stunden hatte ich gebraucht, um den geeigneten Look auszuwählen. Nein zu klassischer Zurückhaltung, hohen Absätzen, Stretch-Rock oder sonstigen Stretch-Verirrungen, nein zu allem, was den Eindruck von AnmaÃung erwecken könnte. Die blaue Ledertasche schaute wie ein Schulranzen vom Stuhl herüber. Alles in bester Ordnung.
Ich würde einfach Sarahs Freundin anrufen. Sarah hatte mir die Durchwahl gegeben, und so könnte ich ihr mitteilen, dass ich plötzlich Fieber bekommen hätte, Bronchitis, ein endogenes Rezidiv einer frühen Windpockeninfektion. Vollkommen ausgeschlossen, den Dienst anzutreten, da die Geschichte ansteckend sei. Soll vorkommen,
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