Im Café der moeglichen Traeume
einem Vorwand ein Gespräch anfingen. Zwei, drei Worte, und vielleicht trifft man sich nächste Woche wieder. Selber Gang, selbes Sonderangebot. Man kam nicht zusammen und ging auch nicht notwendigerweise zusammen, aber gelegentlich wurden Telefonnummern ausgetauscht.
Mir ist das nie passiert.
In meiner Anthropologinnenphase habe ich die Supermarkttypen klassifiziert. Ich stellte sie im Meeting vor, um dem Kunden zu zeigen, dass es jenseits der Erkenntnisse der akademischen Marktstudien (legen Sie die Produkte für Kinder auf ihre Augenhöhe, damit sie die Mamas in den Wahnsinn treiben und mit schrillem Geschrei zum Nachgeben nötigen) auch noch einen Supermarkt für Herz und Verstand gibt. Man müsse sich nur mal umschauen, um zu begreifen, dass ein Supermarkt in erster Linie ein Ort der Emotionen ist.
An folgende Typen erinnere ich mich noch:
⢠Der Reglose. Ein kahlköpfiger Herr mit runden Augen wie im Zeichentrickfilm. Wie angewurzelt steht er vor den Dosen mit den Bohnen und rührt sich nicht vom Fleck. Dann geht er in eine andere, ebenfalls überfüllte Abteilung und stellt sich wieder mitten in den Weg.
⢠Die mehrfache Mutter. Der Einkaufswagen randvoll mit den verschiedensten Lebensmitteln, Flaschen und tonnenweise Putz- und Waschmitteln. Ein etwa Dreijähriges sitzt in der dafür vorgesehenen Vorrichtung im Einkaufswagen. Ein etwa Fünfjähriges springt überall herum und quengelt. Mit stoischer Ruhe legt die Mutter Sachen, die das Blag ihr unterjubeln wollte, zurück ins Regal. Eine Heilige.
⢠Der Verlorene. Um die vierzig, schüchtern und unbeholfen. Vermutlich hat ihm seine Ehefrau einen Einkaufszettel mitgegeben und genau notiert, welche Produkte, Mengen und Marken er kaufen soll. Die Probleme beginnen, wenn er die Binden mit den Flügeln und die Scheidendusche nicht findet. Da er sich nicht traut, die jungen Verkäuferinnen danach zu fragen, irrt er unglücklich durch die Gänge. Hab ich mit eigenen Augen gesehen.
Mein Lieblingstyp ist der verträumte Poet, ein Romantiker. Ziellos lässt er sich treiben und macht lange Pausen in der Bücherecke, wo er in den Taschenbüchern blättert. Oft vergisst er, wo er seinen Einkaufswagen stehen gelassen hat. Ein Exemplar habe ich lange beobachtet, und mein Eindruck war, dass er nur in den Supermarkt ging, um ein Lächeln von Clara von Kasse 7 abzustauben (ihr Name stand auf der Schürze). Der Poet bezahlte ausschlieÃlich bei ihr.
Wer weiÃ, wie das ausgegangen ist?
Dann gibt es noch das Ehepaar. Sie unweigerlich vorneweg, er mit dem Einkaufswagen ein paar Meter hinterher. Sie studiert die Sonderangebote, addiert Bonuspunkte und entscheidet, was gekauft wird, ohne ihn auch nur zu fragen. Einmal habe ich gehört, wie eine Frau zu ihrem Ehemann sagte: »Wenn du die Eier kaputtmachst, bring ich dich um.«
Der Pensionär geht meist heimlich zu Werke. An der Bedientheke reiÃt er ganze Nummernschlangen ab, um dann aber nicht zu erscheinen, wenn seine Nummer aufgerufen wird. Ins Mineralwasserregal stellt er Flaschen mit Bleichlauge, um zerstreuten Kunden eins auszuwischen, und die Türen von den Tiefkühlschränken lässt er offen, damit die Ware verdirbt. Ein verschlagener Typ.
Stets präsent ist die kleine Signora, die kaum die eins fünfzig erreicht, aber immer Dinge braucht, die auf einem Regal stehen, das dreimal so hoch ist wie sie. Sie stellt sich auf die Zehenspitzen und reckt ihr Händchen, aber nichts zu machen, sie kommt nicht dran. Die meiste Zeit ist sie also damit beschäftigt, Leute von einer gewissen Statur um Hilfe zu bitten. ÃuÃerst liebenswürdig.
Heute bin ich hier, um ein Lächeln zu erwerben, ein einziges nur, selbst das kleinste wäre schon wunderbar ⦠ich stehe hier an der Theke ⦠könnten Sie sich vorstellen, mir eins zu verkaufen?
Der von Emily Dickinson inspirierte Slogan war ausschlaggebend, um Anne und ihre Veteraninnen von meiner Idee zu überzeugen, in einer Ecke im Supermarkt Polaroidaufnahmen von den Kunden zu machen und sie ihnen dann zu überreichen â als Souvenir eines glücklichen Einkaufs oder als verschwörerisches Instrument zur Besiegelung amouröser Begegnungen. Die Sache war ein Riesenerfolg. Auch bei unverdächtigen Kandidaten erwies sich die Eigenliebe als empfindliche Stelle, und als der Kunde den Vertrag unterschrieb, sicherte er auch die Verlängerung des
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