Im Café der moeglichen Traeume
Sekunden.
Dann: »Geht schon besser, danke. Vielleicht nehme ich noch einen Espresso. Nachher.«
Wenn wir vertrauter wären, würde ich sagen: »Manuel, heute ist einer dieser Tage, den ich, wenn ich ihn mir anschaue und dann noch einmal genauer hinschaue, nie wieder anschauen werde«, aber wir sind von Fremden umgeben, und ich möchte meine Gedanken nicht öffentlich preisgeben. Den Toast esse ich in Zeitlupe, in winzigen Bissen, und am Wasser nippe ich wie ein Vögelchen. Wenn man schon nichts zu tun hat, sollte man es wenigstens gründlich tun.
Manuel geht, und ich stelle mit vollem Magen ein paar Berechnungen an.
Bei B & P habe ich 1280 Euro im Monat verdient, zwölf Monate im Jahr, und in den glücklicheren Phasen konnte ich mein Gehalt mit Texten zu Schönheitsprodukten aufbessern. Bei Parfüms und Kosmetika bin ich nämlich unschlagbar. Sätze wie: »Durch weiÃes Licht veredelt, begleitet das Eau de Toilette die Sinne zu neuen Traumhorizonten« oder »All die Leichtfertigkeit und Leidenschaft einer freien, sinnlichen Frau«, sind achtzig Euro wert, brutto. Auch wenn die Beauty-Redakteure, für die solche Sätze verfertigt werden, nicht ein Wort davon glauben und sich eher für die Werbegeschenke und Reiseprämien der Hersteller interessieren, bin ich mir sicher, dass niemand bei B & P so etwas in so kurzer Zeit zustande brächte. Niemand könnte mit meiner Ãberzeugungskraft suggerieren, dass er glaubt, was er da schreibt. Normalerweise verliebe ich mich nämlich in meine Texte und schaffe es, mich selbst zu beschwatzen.
Ich nehme all meinen Mut zusammen und kontrolliere meinen Kontostand. Homebanking ist eine Erfindung für uns arme Schweine, die zwanghaft eruieren müssen, wie viel ihnen noch bleibt. Mir bleiben noch 1987,40 Euro, und ich habe noch kein einziges Weihnachtsgeschenk gekauft, was bedeutet, dass ich mich, wenn ich äuÃerst bescheiden bin, noch ein paar (wenige!) Wochen über Wasser halten kann. Wochen voller Armut und Verzicht, auch wenn ich, meiner GroÃmutter sei Dank, wenigstens keine Miete zahle.
Was die Weihnachtsgeschenke betrifft, muss ich mich wohl auf »Kreatives« verlegen und sie selber machen, wobei ich allerdings weder stricken noch mit Papier und Klebstoff umgehen kann. Auch »Art Attack« habe ich mir im Fernsehen nie angeschaut. Nach Weihnachten würde alles 40% weniger kosten, und ich hätte noch Zeit, über Nützliches nachzudenken.
Eine Ausgabenbilanz könnte mir helfen, die notwendigen und die überflüssigen Ausgaben auseinanderzudividieren. Das lasse ich allerdings lieber, da in meinem depressiven Zustand Letztere haushoch gewinnen würden. Mein neues Low-Cost-Leben beginnt erst morgen.
Bei B & P hat man mir gesagt, es gebe keine Olivia dort. Ist da jemand Neues am Empfang, oder ist die Frau einfach nur meschugge? Schon wieder ich, Sarah
14:03
Vom Meckern zum Brüllen ist es bei ihr nicht weit.
Glück heiÃt / Dem Schmerz zuvorzukommen / Das stand an einer Mauer geschrieben / Seid vorsichtig mit dem Glück / Ich möchte ein Schmetterling sein / Und mich um die Sonne nicht scheren / Im Licht leben / Den dunklen Nächten den Rücken kehren / Zu vielen Nächten!
14:07
Eine anonyme SMS . Das muss ein neuer Werbetrick sein. Diese Leute besorgen sich irgendwo deine Nummer, trösten dich mit Gedichten, und zack! wollen sie dir etwas verkaufen. In welcher Datenbank ist meine Nummer eigentlich noch gespeichert? Und was ist der rechte Ort, um das Glück zu suchen und dem Schmerz zuvorzukommen? Und wenn die SMS von ihr wäre? Wörter aus ihrem Sprachschatz sind es zweifellos.
GroÃmütterchen, bist du das? Was willst du mir denn damit sagen?
»Seid vorsichtig mit dem Glück.« Klar.
Ich könnte die SMS der Praktikantin von B & P befragen, die mir um 13:54 Uhr schrieb:
Du fehlst mir jetzt schon, Olivia. Ich hoffe, sie übernehmen mich. Werde dich auf dem Laufenden halten. LG Elisa
Ach, meine Liebe, soll ich dich vielleicht gar nicht begreifen?
Ich stecke den letzten Zipfel von meinem Toast in den Mund und antworte wenigstens Elisa, im Namen des gewaltigen Heers der Praktikantinnen, zu dem ich nach meinem Studium auch gehörte.
Mach dir keine Sorgen, Elisa, sie werden dich schon übernehmen. Wo sollen sie denn eine wie dich zum selben Preis hernehmen. Schöne Weihnachten, Olivia
14:10
Es gibt natürlich massenhaft Praktikanten,
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