Im Dienst des Seelenfängers
Schweiger heißt er, schweigsam ist er. Die Kneipe hieß Maulwurfstaverne. Ein gemütliches Plätzchen. Ich hatte hier schon viele Abende herumgebracht. Mercy stellte drei Mann an der Hintertür ab und je zwei an den bei- den Fenstern. Zwei weitere schickte er auf das Dach. Jedes Gebäude in Beryll hat eine Dach- luke. Im Sommer schlafen die Leute oben im Freien. Den Rest von uns führte er durch die Vordertür des Maulwurfs. Mercy war ein kleiner, arroganter Bursche, der große Gesten liebte. Sein Einzug hätte von Fanfaren begleitet werden sollen.
Die Menge erstarrte und gaffte auf unsere Schilde und die gezogenen Schwerter, auf die hin- ter dem Gesichtsschutz kaum erkennbaren grimmigen Mienen. »Verus!« brüllte Mercy. »Be- weg deinen Hintern hierher!«
Der Großvater der Betreiberfamilie kam auf uns zu wie ein Hund, der einen Tritt erwartet. Die Gäste wurden unruhig. »Ruhe!« donnerte Mercy. Für seine kleine Gestalt konnte er eine überraschend große Lautstärke erzeugen. »Wie können wir euch helfen, verehrte Herren?« fragte der alte Mann. »Du kannst deine Söhne und Enkel ranholen, Blauer.« Stühle knarrten. Ein Soldat drosch mit der flachen Klinge auf eine Tischplatte. »Ruhig sitzenbleiben«, sagte Mercy. »Ihr seid beim Mittagessen, ist mir recht. In einer Stunde könnt ihr wieder eurer Wege gehen.« Der alte Mann begann zu zittern. »Ich verstehe nicht, Herr. Was haben wir getan?« Mercy grinste böse. »Er spielt den Unschuldigen wirklich gut. Es geht um Mord, Verus. Zwei Anklagen wegen Giftmord. Zwei Anklagen wegen versuchtem Giftmord. Die Ma- gistrate haben die Sklavenstrafe verhängt.« Ihm machte das Spaß. Mercy gehört nicht gerade zu meinen Lieblingen. Er ist nie über den Jungen hinausgewach- sen, der den Fliegen die Flügel ausriß. Die Sklavenstrafe bedeutet, daß man nach der öffentlichen Kreuzigung für die Aasfresser hängengelassen wird. In Beryll werden nur Verbrecher unverbrannt oder gar nicht bestattet. In der Küche erhob sich Getöse. Jemand wollte durch die Hintertür verschwinden. Unsere Männer hatten etwas dagegen.
Der Schankraum explodierte. Eine Welle messerschwingender Menschen stürzte auf uns zu. Sie drängten uns zur Tür zurück. Die Nichtschuldigen befürchteten offenbar, daß sie mit den Schuldigen gemeinsam verurteilt werden würden. Berylls Gerechtigkeit ist rasch, einfach und
streng, und nur selten hat ein Angeklagter Gelegenheit, seine Unschuld zu beweisen.
Ein Dolch zuckte an einem Schild vorbei. Einer unserer Männer ging zu Boden. Als Kämp- fer tauge ich nicht viel, aber ich trat an seine Stelle. Mercy sagte etwas Bissiges, das ich nicht mitkriegte. »Damit hast du die Chance auf den Himmel verspielt«, erwiderte ich. »Du wirst für alle Zeiten aus den Annalen gestrichen.« »Blödsinn. Du verzeichnest doch alles.« Ein Dutzend Bürger ging zu Boden. An den tiefen Stellen des Bodens sammelte sich Blut. Draußen versammelte sich eine Zuschauermenge. Bald würde uns irgendein abenteuerlustiger Schläger in den Rücken fallen.
Mercy bekam einen Dolchstich ab. Er verlor die Geduld. »Schweiger!« Schweiger war schon tätig, aber er war eben Schweiger. Das bedeutete Lautlosigkeit und sehr geringe Mengen an Blitz und Donner. Die Maulwurfskunden begannen sich auf die Gesichter zu schlagen, droschen in die Luft und ließen uns in Ruhe. Sie hüpften auf und ab, tänzelten, griffen sich an den Rücken oder den Hintern, quiekten und plärrten erbärmlich. Einige brachen zusammen. »Was zur Hölle hast du da angestellt?« fragte ich. Schweiger grinste und entblößte scharfe Zähne. Er fuhr mir mit einer dunkelhäutigen Pranke über die Augen. Jetzt sah ich den Maulwurf aus einem etwas anderen Blickwinkel. Der Sack, den er von außerhalb der Stadt herangeholt hatte, erwies sich als eins jener Hor- nissennester, auf die man, wenn man Pech hat, in den Wäldern südlich von Beryll treffen kann. Die Bewohner waren jene hummelähnlichen Untiere, die die Bauern Starrhornissen nennen. Sie haben eine dauerhaft miese Laune, die in der Natur ihresgleichen sucht. Die Maulwurfskundschaft wurde von ihnen rasch eingeschüchtert, wobei unsere Jungens unbehel- ligt blieben.
»Gute Arbeit, Schweiger«, sagte Mercy, nachdem er seinen Zorn an einigen hilflosen Gästen ausgelassen hatte. Die Überlebenden trieb er auf die Straße hinaus. Ich untersuchte unseren verletzten Bruder, während der unverletzte Soldat die Verwundeten abtat. Mercy nannte das, dem Syndikus die Kosten für einen
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