Im Dienst des Seelenfängers
wollte Tom-Tom wissen. »Eindeutig echt. Kein Scherz unseres Freundes.« Er zeigte zu dem großen Nordschiff hin- aus, das in einem Schwärm von Fischerbooten und Küstenkuttern dahintrieb. »Vierundfünfzig von ihnen sind hier eingemauert worden. Sie haben sich gegenseitig aufgefressen. Das hier war das Letzte, das noch übrig war.«
Tom-Tom zuckte zusammen, als hätte er eine Ohrfeige bekommen. »Was ist los?« fragte ich.
»Das heißt, daß dieses Biest das gemeinste, schlaueste, grausamste und verrückteste der gan- zen Bande war.«
»Vampire«, brummte ich. »Zu dieser Zeit noch.« »Nicht ganz genau ein Vampir«, sagte Tom-Tom. »Das hier ist der Werleopard, der Men- schenleopard, der am Tag auf zwei Beinen geht und bei Nacht auf vieren.« Ich hatte von Werwölfen und Werbären gehört. Die Bauern bei meiner Heimatstadt erzählen solche Geschichten. Von einem Werleoparden hatte ich noch nie gehört, was ich Tom-Tom auch sagte.
»Der Menschenleopard stammt aus dem tiefen Süden. Aus dem Dschungel.« Er starrte auf das Meer hinaus. »Sie müssen lebendig begraben werden.« Schweiger legte eine weitere Leiche ab. Blutsaufende, leberfressende Werleoparden. Uralt, mit der Finsternis wohlvertraut, mit ei-
nem Jahrtausend aus Haß und Hunger angefüllt. Das ist schon der Stoff, aus dem die Alp-
träume sind. »Schaffst du das Biest?«
»N’Gamo konnte es nicht. Ich werde nie so gut sein, wie er es war, und er hat einen Arm und einen Fuß verloren, verloren, als er versuchte, ein junges Männchen zu vernichten. Hier haben wir es mit einem alten Weibchen zu tun. Bitter, grausam und schlau. Wir vier könnten sie vielleicht aufhalten. Aber sie nicht besiegen.« »Aber wenn du und Einauge dieses Biest kennen…« »Nein.« Er zitterte am ganzen Körper. Er packte seine Trommel so fest, daß sie knarrte. »Wir können es nicht.«
Das Chaos erstarb. Berylls Straßen blieben so still wie die einer erstürmten Stadt. Selbst die Meuterer hielten sich bedeckt, bis der Hunger sie zu den Getreidespeichern trieb. Der Syndikus versuchte, dem Hauptmann Daumenschrauben anzulegen. Der Hauptmann ignorierte ihn. Schweiger, Goblin und Einauge spürten dem Ungeheuer nach. Das Biest zeigte rein tierisches Verhalten und stillte den Hunger einer ganzen Epoche. Die Parteien bedrängten den Syndikus mit Schutzforderungen.
Der Leutnant rief uns wieder in der Offiziersmesse zusammen. Der Hauptmann kam sofort zur Sache. »Männer, unsere Lage ist ernst.« Er lief auf und ab. »Beryll verlangt nach einem neuen Syndikus. Jede einzelne Partei hat die Schwarze Schar aufgefordert, sich dabei nicht einzumischen.«
Mit den Einsätzen steigerte sich auch die moralische Zwickmühle. »Wir sind keine Helden«, fuhr der Hauptmann fort. »Wir sind zäh. Wir sind stur. Wir versu- chen unsere Verpflichtungen einzuhalten. Aber wir sterben nicht für eine verlorene Sache.« Ich begehrte auf. Aus mir sprach die Stimme der Tradition, die seinen unausgesprochenen Vorschlag in Frage stellte.
»Hier geht es um das Überleben der Kompanie, Croaker.« »Wir haben das Gold angenommen, Hauptmann. Hier geht es um die Ehre. Seit vier Jahr- hunderten hat die Schwarze Schar buchstabengetreu zu ihren Verpflichtungen gestanden. Seht im Buch Set nach, das von Chronist Coral geführt wurde, als die Kompanie während des Auf- standes der Chiliarchen im Dienste des Archons von Bone stand.« »Sieh du doch nach, Croaker.«
Ich wurde wütend. »Ich beharre auf meinem Recht als freier Soldat.« »Er hat das Recht zu sprechen«, pflichtete der Leutnant bei. Er ist ein noch größerer Tradi- tionalist als ich.
»In Ordnung. Soll er reden. Wir brauchen ja nicht zuzuhören.«
Ich rezitierte die dunkelste Stunde in der Geschichte der Kompanie… bis ich begriff, daß ich
mit mir selbst stritt. Eine Hälfte von mir wollte verschwinden. »Croaker? Bist du fertig?«
Ich schluckte. »Findet ein gesetzliches Schlupfloch, und ich mache mit.« Tom-Tom widmete mir einen spöttischen Rhythmus. Einauge kicherte. »Das ist Goblins Sa- che, Croaker. Er war Anwalt, bevor er sich zum Zuhälter hocharbeitete.« Goblin schnappte nach dem Köder. » Ich war ein Anwalt? Deine Mutter war die Schlampe eines An…«
»Schluß!« Der Hauptmann schlug mit der flachen Hand auf den Tisch. »Wir haben Croakers Zustimmung. Kümmert euch drum. Findet einen Ausweg.« Die anderen machten erleichterte Gesichter. Sogar der Leutnant. Meine Meinung als Chro- nist war gewichtiger, als es mir lieb war. »Der Ausweg, der
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