Im Dunkel der Schuld
gestorben ist.«
»Was heiÃt mysteriös? Ist doch alles gründlich untersucht worden. Wenn du mich fragst, ist dieser Benkhofer nicht sauber. Wie der sich da drauÃen gebärdet hat! Als würde er die Polizeiaktion leiten. Vielleicht hat er die Frau beseitigt und schiebt die Schuld nun auf seinen Rivalen. Dass es Streit gegeben hat, haben doch genügend Leute bestätigt. Komm, lass uns weitergehen. Vielleicht schaffen wir es bis zum Schichtende.«
»Mmmmmmm!«, machte Ebba noch einmal, dann gab sie auf.
Benommen kam sie zu sich, als es erneut hell wurde. GleiÃend hell, nicht so warm und dezent wie beim letzten Mal. Jemand rüttelte an der Tür.
»Ich will den Jugendlichen sehen. Ich gehe hier nicht eher fort. Es gibt keine andere Möglichkeit, wenn Ihre Kollegen recht haben und tatsächlich alle Särge leer sind. Ich sage Ihnen, es war ein Fehler, die Aktion abzubrechen und Ihre Leute heimzuschicken. Ich bin mir sicher, dass sie irgendwo hier im Gebäude ist. Ich spüre das. Er kann sie nicht so schnell weggeschafft haben.«
»Beruhigen Sie sich, Herr Benkhofer. Noch wissen wir doch gar nicht, ob sie überhaupt hier gewesen ist.«
Jörg schaubte. »Und wie erklären Sie sich seine kaputte Nase, wenn niemand hier ist?«
»Er hat angegeben, gegen eine Glastür gerannt zu sein, als die Kollegen heute Morgen klingelten.«
»Glastür? Ich habe hier bislang nur Riffelglas und Holz gesehen.«
Stille.
Wieder wurde an der Tür gerüttelt.
»Abgeschlossen. Seltsam. Ich besorge den Schlüssel.«
»Schnell! Wer weiÃ, was er mit ihr gemacht hat.«
Ein lauter Schlag ertönte. »Unterlassen Sie das. Meine Güte, das hat man davon, wenn man so nachgiebig ist. Ich hätte Sie niemals reinlassen dürfen, auch wenn die Aktion abgeschlossen ist.«
Wieder ein Schlag.
»Ich erteile Ihnen Platzverweis, wenn Sie nicht augenblicklich aufhören! Sie stören die Totenruhe. Hier liegt nur ein Jugendlicher, der einen schrecklichen Unfall gehabt hat.«
»Ich will ihn sehen. Mit eigenen Augen.«
»Gehen Sie beiseite.«
Ein Schlüssel kratzte im Schloss, dann öffnete sich die Tür.
»Mmmmm«, hätte Ebba gern gemacht. Doch sie war zu schwach dafür. Es blieb ihr nur übrig, die beiden benommen anzustieren.
Sie drehten sich bestürzt um. »Das ist ja entsetzlich«, flüsterte Frau Wieland und zog ein Taschentuch heraus. »Ich dachte immer, die richten die Toten so her, dass man sie ansehen kann. Aber das hier ist ja grauenhaft. Der arme Junge!«
Sie wollte die Tür wieder schlieÃen, doch Jörg drängte sich an ihr vorbei, worauf sie ihn energisch am Arm packte.
»Es reicht!«
»Ja, sehen Sie das nicht?«
»Was?«
»Die Haare. Wie die Haare zu Berge stehen! Die sind gefärbt. O mein Gott, das ist Ebba! Ebba, du ⦠Was um Himmels willen hat er mit dir gemacht?«
Frau Wieland lieà die Hand sinken, und Jörg stürmte zu Ebba, wollte sie in den Arm nehmen, stutzte, riss die Decke weg. Schon war Frau Wieland neben ihm, beide bearbeiteten die Gurte, die sie fixierten.
Ganz zart berührte Jörg mit Tränen in den Augen ihre Wangen.
»Was hat er nur mit dir gemacht? Das sind so entsetzliche â¦Â« Er stutzte. »Aber das ist doch ⦠Das sind keine Wunden, das ist Schminke!«
Er begann in ihrem Gesicht herumzureiben, doch im selben Augenblick zuckte er zurück.
»Die Lippen«, stöhnte er und zwinkerte heftig. Eine Träne tropfte neben ihre Nase. »Er hat dir die Lippen zugenäht, das Schwein! Aber du, du hast es trotzdem geschafft.«
Sechsundvierzig
Freitag, 22. Juni 2012
Es war ein samtig warmer Sommerabend. Eine Stunde zuvor war ein Gewitter über der Stadt niedergegangen und hatte die Schwüle fortgewaschen, ohne die Luft allzu sehr abzukühlen. Ein paar Regentropfen glänzten noch auf den orangefarbenen Rosen auf der anderen StraÃenseite, fast meinte man, ihren Duft bis in die Galerie wahrzunehmen, deren Türen weit geöffnet waren.
Im Innern drängten sich festlich gekleidete Menschen, weitere standen auf der StraÃe und unterhielten sich angeregt in mehreren Sprachen. Es gab nur ein Thema: die Vernissage mit sämtlichen Werken von Bruno Seidel.
Zufrieden stand Ebba in der Menschentraube, nippte am Champagner, den Frau Hilpert unermüdlich servierte, und lieà ihren Blick über
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