Im Dunkel der Waelder
sie davon zu überzeugen, daß sie bald tot sein werden.«
Sie spricht von einem Film der Monty Pythons! Und ob ich den kenne! Es war einer unserer Lieblingsfilme, ich habe ihn mindestens zehnmal gezeigt. Sie beugt sich noch näher zu mir herüber, ich spüre ihren warmen Atem.
»Ich habe Angst vor dem Tod, vor der Bestie. Seine Fratze ist so unheimlich. Ich würde wahnsinnig gern in Disneyland wohnen, im Schloß von Dornröschen.«
Selbst wenn ich wüßte, was ich darauf sagen sollte, könnte ich es nicht. Yvette und die anderen kommen zurück, ihre Schritte hallen auf dem Parkett wider. Sie sprechen über das Wetter, den Kauf von Häusern und darüber, wie teuer das Leben geworden ist. Nichts Aufregendes. Virginie ist still. Ich nehme an, sie liest wieder in dem Buch, denn ich höre, wie regelmäßig Seiten umgeblättert werden. Da sie mir kurz zuvor noch diese abscheulichen Dinge erzählt hat, empfinde ich es irgendwie als unwirklich, sie mir nun friedlich lesend vorzustellen und die anderen seelenruhig Belanglosigkeiten austauschen zu hören. In der Tat fällt es mir schwer zu glauben, daß das, was sie erzählt hat, tatsächlich wahr ist. Pauls warme Stimme unterbricht mich in meinen Gedanken:
»Stören wir Sie auch nicht?«
Spricht er mit mir?
»Nein, nein, ich bin sicher, sie freut sich. Mademoiselle Elise hat immer gern Leute um sich gehabt«, antwortet Yvette an meiner Stelle.
Paul seufzt, als wenn ihn plötzlich etwas traurig stimmen würde. Was sieht er in mir? Wird er an mich denken, wenn er abends im Bett liegt, und alles in weißes Mondlicht getaucht ist? Ich bin jedenfalls so gut wie sicher, daß ich an ihn denken werde beziehungsweise an die Vorstellung, die ich mir von ihm mache: Ein großer Mann mit braunem, sehr kurz geschnittenem Haar, schlank mit langen Beinen, einem entschlossenen Gesicht und großen, hellen Augen … Vielleicht liegt es daran, daß mich seine Stimme beruhigt, mir Vertrauen einflößt. Ich fühle mich so allein. Und Hélène scheint auch sympathisch zu sein. Leute, die ich sicher gern kennengelernt hätte, bevor ich …
Hélène, Paul und Yvette unterhalten sich angeregt über die Politik der neuen Gemeindeverwaltung.
Virginie erhebt sich, um ihr Buch beiseite zu legen. Sie steht auf einmal direkt neben mir, denn ich kann die Wärme ihres kleinen Körpers, der nach einem Badezusatz duftet, spüren.
»Ich glaube, die Bestie mag nicht, was sie tut. Aber sie muß es tun, verstehst du«, flüstert sie mir ins Ohr. »Es überkommt sie, einfach so, und hopp, braucht sie ein Kind. Da war ein Polizist, der hieß Kommissar oder so, der hat mir ein paarmal Fragen gestellt. Ich fand, er sieht wie ein Clown aus, ich nenne ihn Bonzo, er hat einen großen, gelben Schnurrbart und Haare wie Stroh. Er wollte so gern, daß ich ihm sage, was ich weiß, aber ich kann nicht. Ich kann es niemandem erzählen, außer dir, weil das etwas anderes ist.«
Es stimmt, ich bin verschwiegen wie ein Grab. Also, die Polizei hat sich schon für Virginie interessiert. Wahrscheinlich für alle Kinder aus der Gegend, die ja vielleicht etwas beobachtet haben könnten.
»Renaud wußte nichts von der Bestie, er war nicht mißtrauisch, und deshalb konnte sie ihn kriegen. Ich hab ihm gesagt, er soll nicht in dem Häuschen spielen. Denn ich hatte schon bemerkt, daß die Bestie um ihn herumscharwenzelte, ihn angelächelt hat … Aber er hat nicht auf mich gehört. Hörst du mir zu?«
Ich hebe den Zeigefinger. Ich bin etwas benommen.
»Virginie, was machst du da?«
Die besorgte Stimme von Hélène.
»Ich unterhalte mich mit Elise.«
Betretenes Hüsteln.
»Möchtest du einen Tee? Oder einen Kakao, mein Liebling?« erkundigt sich Yvette.
»Nein, danke, Madame.«
»Virginie, komm bitte mal kurz her.«
Das ist Paul.
Virginie seufzt genervt.
»Nie hat man seine Ruhe!«
Ich lächle, beziehungsweise ich habe zumindest das Gefühl zu lächeln. Ich weiß nicht, was mein Gesicht ausdrückt.
»Ist etwas nicht in Ordnung, Mademoiselle Elise?« erkundigt sich Yvette besorgt.
Nun gut, an meinem Lächeln muß ich wohl noch etwas arbeiten.
»Wir müssen gehen. Wir sind heute Abend bei Freunden zum Essen eingeladen«, erklärt Hélène. »Machst du dich fertig, Virginie?«
»Sie müssen uns unbedingt wieder besuchen. Wissen Sie … (Yvette senkt die Stimme), ich habe den Eindruck, daß es ihr wesentlich besser geht, seit sie die Kleine und Sie beide kennt. Sie ist so allein … Wir würden uns wirklich freuen,
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