Im Dunkeln der Tod
der eleganten Kleidung, der einen Hand, die kokett auf den Boden zeigt, und den langen schmalen Fingern, die einen Spiegel halten. Was konnte der bedeuten? Starb er, um sich seinem eigenen Bild zu entziehen? Konnte er sein Leben nicht ertragen, seinen Alkoholismus und seine Homosexualität? Wollte er aus seinem dekadenten Leben entfliehen, wie Erik das auch wollte, ohne es zu wagen?
Eriks Blick glitt über die drei zärtlichen Frauen, die den Dandy umstanden. Ihre weichen Formen, ihre Fürsorge. Eine war gerade dabei, die schlanke, elegante Gestalt mit einer Decke zu bedecken, wie ein erlesenes Instrument, auf dem nicht mehr gespielt wird.
Auf dem Bild war auch ein junger Mann zu sehen. Er stand im Hintergrund; halb abgewandt von der kleinen Gruppe wirkte er verzweifelt vor Kummer und drückte sich ein Taschentuch wie ein Monokel auf das eine Auge. Mit seinen dunklen Augen und den roten Lippen hatte er etwas Theatralisches. Auch er war gekleidet wie ein Dandy, in provokanten Farben, ein lila Jackett, ein oranges Hemd und ein rotgrüner Schlips. Erik war sich sicher, dass der Mann am Bildrand Dardels wichtigsten Liebhaber darstellen sollte, Rolf de Maré.
Dardel hatte mehrere homosexuelle Beziehungen gehabt, zugleich war er aber auch Verbindungen zu Frauen eingegangen.
Eriks Blick wanderte wieder zur auf dem Herzen liegenden Hand des Dandys. War es ein rein physischer Schmerz, war er soeben von einem Herzanfall überwältigt worden? Dardel hatte an einem Herzfehler gelitten, nachdem er als Kind an schwerem Scharlach erkrankt war, aber konnte es so einfach sein? Vielleicht war auch eine Liebesenttäuschung der Grund. Wollte der Künstler zeigen, dass er dabei war, Rolf de Maré und seine homosexuelle Seite aufzugeben, um mit einer Frau die Ehe einzugehen? Als Dardel das Bild im Sommer 1918 gemalt hatte, war er heimlich mit der Ministerstochter Nita Wallenberg verlobt gewesen. Trauerte der Mann im Hintergrund deshalb?
Das Bild hatte so viele Ebenen, es berührte sein Innerstes und die Tragik seines eigenen Lebens. Wenn sie einander doch begegnet wären, dachte er in seiner Verzweiflung oft – wenn sie zur selben Zeit gelebt hätten. Wie sehr hätte er ihn geliebt! Und wie oft hatte er sich schon gefragt, woran Dardel beim Malen des Bildes gedacht hatte.
Vielleicht kann er mich jetzt sehen, überlegte er und schaute zur Decke hoch. Dann wanderten seine Blicke zurück zum Bild.
Die Art, wie die drei Frauen sich um den sterbenden Dandy versammelt hatten, erinnerte an Christi Tod, mit dem Dandy als Christus. Für Erik ähnelte die Frau, die den Sterbenden zudeckte, einem Engel, die grünen Palmblätter des Hintergrundes bildeten die Flügel. Eine andere Frau war vielleicht Maria, mit ihrem Kleid in der starken typischen marienblauen Färbung, und das jüngere Mädchen, das ihm ein Kissen unter den Kopf schob, konnte Maria Magdalena symbolisieren, mit ihren roten Haaren und dem rot-lilafarbenen Kleid. Der Mann im Hintergrund ähnelte Jesus’ Lieblingsjünger Johannes. Warum nicht?
Die Tragik war jedenfalls nicht zu übersehen – was immer sie hier symbolisieren mochte. Sie konnte mit dem Krieg zu tun haben. Als Dardel das Bild malte, tobte der Erste Weltkrieg. Schweden hatte sich herausgehalten, Finnland aber war in den Krieg eingetreten, der Schweden damit gefährlich näher rückte. Nicht einmal in den feinen Salons, in denen Nils Dardel verkehrte, konnte man nun noch die Augen vor dem Grauen verschließen, dem die Menschen anderswo ausgesetzt waren. Vielleicht wollte er von den Veränderungen berichten, die sich damals in der Gesellschaft abspielten. Dass die glänzenden Feste der feinen Salons, die er und seine Freunde genossen hatten, jetzt absurd wurden – dass der weltfremde Dandy erkennen musste, was sich um ihn herum abspielte.
Erik hielt Dardel für einen Idealisten, aber auch für einen komplizierten, vielschichtigen und in vieler Hinsicht tragischen Menschen auf der Flucht vor sich selbst. Und diese Flucht führte in den Alkoholismus, beflügelte aber zugleich die Kunst.
Genau wie bei Erik.
DIE FRAGE, OB EGON WALLIN homosexuelle Neigungen gehabt hatte, beschäftigte Knutas und Kihlgård für den Rest dieses Samstags. Knutas hatte Monika Wallin angerufen und danach gefragt, aber die hatte abgewehrt. Nicht, dass es zwischen ihr und Egon viel Glut gegeben hätte, aber dass ihr Mann schwul gewesen sein sollte, konnte sie sich doch nicht vorstellen. Während ihrer ganzen langen Ehe hatte er sich nie
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