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Im Dutzend vielfältiger

Im Dutzend vielfältiger

Titel: Im Dutzend vielfältiger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicole Rensmann
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angesehen und fragwürdige Gesetze überlebt, er selbst war wegen seiner Liebe zu einem jungen Mann unberechtigter Weise angeklagt worden – Leonardo wischte sich über die Stirn und hinterließ dort einen grünen Farbspritzer –, ein Kapitel seines Lebens, das er vergessen wollte.
    Er war des Reisens müde und spürte eine Trägheit, den Menschen vergebens seine Erkenntnisse und wissenschaftlichen Ergebnisse darzulegen. Sie wussten sie nicht zu schätzen. Seine ihn bewundernden Schüler ertrug er nicht länger. Und die Belobigungen, ausgesprochen von den großen Herrschern, erdrückten ihn, dienten deren Worte doch nur dazu, ihn zu ermutigen, weitere Kriegsmaschinen für sie zu bauen und ihnen noch mehr Macht zu verschaffen.
     
    »Auf der Erde wird man Geschöpfe sich unaufhörlich bekämpfen sehen, mit sehr schweren Verlusten und zahlreichen Toten auf beiden Seiten. Ihre Arglist kennt keine Grenzen.«
     
    Seine Erfindungen sollten nicht dazu dienen, Menschen zu töten, den Reichen mehr Wohlstand zu schenken und die Armen der Hungersnot auszusetzen. Aber das, so fürchtete Leonardo, würde sich niemals ändern.
    Dabei waren sie alle gleich, wenn sie aus dem Schoß der Mutter geboren wurden und sobald sie dem Tod mit glasigem Blick ins Angesicht starrten. Als junger Mann hatte er sie studiert, die Armen wie die Reichen. Er hatte Bettler beobachtet und Deformierte erforscht, die Hospitäler besucht, den Alten und Kranken beim Sterben zugesehen. Ihre Mimik behielt er sich im Gedächtnis, ihre Augen, ihren letzten Atemzug. Er hatte über dreißig der toten, blassen Körper seziert und das Innere eines Menschen analysiert.
     
    »Der Mensch ist das Modell der Welt.«
     
    Leonardo kratzte sich seinen Bart, legte den Kopf schief und dachte nach. Das Denken zählte er zu der Prämisse eines Herrschers, Wissenschaftlers und Malers. Doch die wenigsten besaßen diesen Anspruch, noch beherrschten sie ihr Handwerk.
    Das zaghafte Klopfen an der Tür riss ihn aus seinen Gedanken.
    Mit einem lauten »Bitte!« rief er den Gast hinein.
    Die Tür öffnete sich einen Spaltbreit und Lisa del Giocondo schob sich, den Blick gesenkt, in das Atelier. Leonardo eilte auf sie zu, verbeugte sich, ergriff ihre Hand und hauchte einen Kuss darauf.
    Sie lächelte.
    Er behielt ihre Hand in seiner. Sie fühlte sich aufgeschwemmt an, und zu wulstig für ihre zartgliedrigen Finger. Bevor er Lisa zu ihrem Platz führte, betrachtete Leonardo ihr Gesicht.
     
    »Male das Gesicht dergestalt, das leicht zu begreifen ist, was im Geiste vorgeht.«
     
    Das Haar, von der Mitte gescheitelt, dunkelbraun, fast schwarz, bedeckt mit schwarzer Spitze. Ihre gerade Nase wirkte ein bisschen zu dick zwischen den hohen Wangenknochen. Er griff unter ihr rundes, wohlgeformtes Kinn und drehte ihren Kopf vorsichtig nach links – jede Hautpore sog er in sein Gedächtnis – und nach rechts. Mit Entzücken entdeckte er das kleine Grübchen an ihrem Hals. Dann erst lenkte er seine Aufmerksamkeit auf ihren Mund, die schmalen blassen Lippen.
    Ihr Lächeln. Verzaubernd.
    Ihre Augen. Mandelförmig, dunkelbraun.
     
    »Wie viel Schönheit empfängt das Herz durch die Augen?«
     
    Sie hatte ein Kind geboren, ein zweites trug sie unter ihrem Herzen. Eine Mutter.
    Die seine hatte er nie kennen lernen dürfen. Sein Vater hatte ihn zu sich genommen, Gerüchten zufolge, weil seine Mutter zu jung und vom gewöhnlichen Volke gewesen sein sollte. Doch das wäre ihm einerlei gewesen. Leonardo hatte sie vermisst und sehnte sich noch heute nach mütterlicher Wärme, obwohl es ihm nie an familiärer Zuneigung gemangelt hatte. Darum war er nach Florenz zurückgekehrt, er hoffte hier seine Wurzeln, die verborgen in Gassen und zwischen eng gesetzten Häusern wucherten, verfolgen zu können – und die in den letzten Jahren verloren gegangene Geborgenheit wieder zu finden. Sicherlich, er hätte nach Vinci gehen können, seinen Geburtstort und die Stadt, die ihm seinen Namen gegeben hatte, dort hätte er vielleicht seine Mutter treffen können. Vielleicht. Doch er glaubte, nur in Florenz die nötige Inspiration und Kraft zu erhalten, die er bei seiner Suche benötigte, nicht zuletzt des Geldes wegen.
    Nie grollte er seinem Vater, obwohl er ihm die Mutter vorenthalten hatte – all die Jahre. Hatte er ihm doch ein liebevolles Heim gegeben, und er war es auch gewesen, der ihn zu Andrea del Verrocchio gebracht hatte – der fortan Leonardo in Malerei und Bildhauerei ausgebildet und ihn gefördert

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