Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Im eigenen Schatten

Im eigenen Schatten

Titel: Im eigenen Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Veit Heinichen
Vom Netzwerk:
Folter; Hoffnung und Aussichtslosigkeit wechselten sich ab.
    »Soll ich in dieser Kiste da etwa übernachten?«, blaffte der Erzengel die beiden Männer an, die den abgetrennten Raum betraten, in den man ihn irgendwann geführt hatte und wieder schmoren ließ. Die Handflächen hatte er wie in Andacht aneinandergelegt, doch sein Blick flackerte, als stünde er am Einlass zum Inferno und wartete nur noch auf den Tritt in den Hintern, der ihn für alle Zeiten hinunterbeförderte.
    Eine halbe Stunde zuvor hatten Uniformierte ihn in dem Verschlag auf einen harten Stuhl gepresst, dessen Beine wie der Tisch vor ihm mit dem Boden verschraubt waren. Um die Schraubenlöcher herum befanden sich noch Spuren von Bohrstaub, der provisorische Vernehmungsraum war am Nachmittag eilig aus Rigipsplatten hochgezogen und spärlich ausgestattet worden. Ein Maschendrahtgitter bildete seine Decke. Vor der Wand gegenüber stand eine Videokamera auf dem Stativ, eine rote Leuchte signalisierte, dass sie aufnahm. Und außerhalb der Reichweite seiner gefesselten Hände stand ein ausladender Flachbildschirm. Mimmo glotzte sich selbst an.
    Battista Malanninos mausgraues Jackett mit dem Glencheckmuster platzte fast aus den Nähten, auch sein Hemd spannte an den Knopflöchern, die Krawatte schien ihn zu erwürgen, Wangen und Nase waren gerötet. Die Magensäure stieß ihm immer wieder auf. Er hatte sich den ganzen Tag von Schnitten lauwarmer Pizza und Softdrinks ernährt, die kontinuierlich angeliefert wurden. Die massige Statur des Ermittlungsrichters mit dem dicken Schnauzbart ließ Mimmo stocken. Er erinnerte an einen Schwergewichtsboxer, der sich für eine neue Zukunft als Immobilienmakler in Erdbebengebieten entschieden hatte. Alessandro Pennacchi wirkte demgegenüber unterernährt und war viel salopper gekleidet. Sein weißes Hemd war nicht maßgeschneidert, der Kragen stand offen, er trug ein himmelblaues, zerknittertes Leinenjackett, Jeans und Sportschuhe. Seinem federnden Schritt und der tänzelnden Art, in der er sich bewegte, sah man an, dass er Wert auf körperliches Training legte. Die randlose Brille würde ihn kaum daran hindern, einen Gegner niederzustrecken. Keiner der beiden trug eine Armbanduhr, von der Oberdan unauffällig hätte die Zeit ablesen können.
    Pennacchi verschwand hinter dem Bildschirm aus Oberdans Blickfeld, als er sich hinsetzte, während der Ermittlungsrichter einmal gemächlich um den Tisch herumging, sich schließlich an einem Projektor zu schaffen machte und eine DVD einlegte. Als wären sie allein im Raum, verlor keiner ein Wort des Grußes oder eines Kommentars. Endlich setzte sich auch Malannino. Auch er wurde von dem Monitor in der Mitte des Tischs verdeckt. Wenn Mimmo einen von ihnen sehen wollte, musste er sich zur Seite neigen. Doch dem eigenen Anblick konnte er sich aus keiner Position entziehen.
    Der Ermittlungsrichter hatte diese Strategie in langen Berufsjahren entwickelt, in denen ihm vom Mafioso über normale Mörder oder Bankräuber bis zu fundamentalistischen Terroristen alles gegenübergesessen hatte. Er hielt nichts von dem abgedroschenen Spiel bad cop/good cop. Malannino, dessen Name schon so oft durch die Medien gegangen war, hatte keine Lust mehr auf die Maschen der Verbrecher, die sich für schlauer hielten, als sie waren. Sollten sie sich doch selbst dabei zusehen müssen, wie sie ihm ihre Lügen auftischten oder sich mit schlaumeierischen Ausreden herauszuwinden versuchten, die an Blödheit kaum zu übertreffen waren. Er setzte darauf, ihnen die Aussichtslosigkeit direkt vor Augen zu führen. Ferner hemmte der ständige Anblick des eigenen Gesichts die Konzentrationsfähigkeit. Selbst ein cooler Profikiller entdeckte dabei Züge an sich, die ihm bisher unbekannt gewesen waren. Eine Zermürbungstaktik, die in keinem Lehrbuch stand und in keinem Fortbildungsseminar gelehrt wurde. Das zweite Instrument war sein Verhörpartner Sandro Pennacchi, mit dem er sich die Bälle zuspielte und der einspringen konnte, sobald es nötig war.
    Ihre Worte prasselten wie ein Hagelschauer auf Mimmo ein. Anfangs schienen sie sich nicht im Geringsten für seine Aussagen zu interessieren. Seine Antworten versickerten wie Regenwasser im Gullydeckel. Das verbale Sperrfeuer, das die beiden Ermittler mit gelassenen, ruhigen Stimmen eröffneten, dauerte eine gute Viertelstunde. Das Leben des Erzengels seit dem Kindergarten und alle seine Vergehen leierten sie wie in einem Theaterstück abwechselnd und ohne Pause

Weitere Kostenlose Bücher